Von 1935 an war die Dahua-Spinnerei die wichtigste Fabrik der einstigen Kaiserstadt Xi’an in der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. Als die riesige Anlage im Jahr 2008 endgültig ihre Pforten schloss, hatte sie in produktiver Hinsicht längst jegliche Bedeutung verloren. Durch den jahrzehntelangen Wirtschaftsboom waren inzwischen zahllose konkurrierende Produktionsstätten mit moderner Ausstattung entstanden. Das Gelände fiel in einen Dornröschenschlaf, auch wenn es ob seiner Lage am südöstlichen Rand des einstigen Kaisersitzes nie endgültig in Vergessenheit geriet. Schließlich gelang es dem Planungsbüro des bekannten chinesischen Architekten Cui Kai, eine Revitalisierung anzustoßen. Mit seiner China Architecture Design Group for Land-based Rationalism D.R.C und in Zusammenarbeit mit Wang Ke Yao, Zhang Ru Bing und Aurelien Chen erfolgte die Transformation in ein urbanes Gefüge mit vielseitigen Nutzungen.
Es fällt schwer, beim Anblick der Anlage nicht an postindustrielle Projekte beispielsweise im Ruhrgebiet zu denken. Und tatsächlich benennt der französischstämmige Aurelien Chen, der mit dem Zhijian Workshop inzwischen sein eigenes Büro führt, die Zeche Zollverein als eine Referenz. Anders als im Ruhrgebiet war hier in Xi’an für den historischen Gebäudebestand keine ausschließliche museale Nutzung, sondern ein zeitgenössisches Kultur- und Freizeitprogramm vorgesehen. Es entstanden Gewerbeflächen und Platz für Einzelhandel, mehrere Theater, Museen und Ausstellungsräume, ein Hotel sowie Infrastruktur für Sport und Erholung. Die Umsetzung erfolgte in zwei Phasen bis 2015 und 2020.
Die Architek*innen öffneten mittels mehrerer neuer Achsen die kompakte Struktur der Produktionshallen. Das einst geschlossene Areal ließ sich damit zugleich auch zur städtischen Umgebung hin öffnen. In den ohnehin schon etwas lockerer bebauten Randlagen entstanden außerdem neue Gebäude. Parallel hierzu wurden einige technische Gebäude aus jüngeren Jahren entfernt, um mehr Freiraum zu schaffen. Teilweise ließ sich dabei das Abrissmaterial in die Außenraumgestaltung integrieren. Für letztere war der Landschaftsarchitekt Feng Jun verantwortlich. Insgesamt wurde eine Fläche von knapp neun Hektar transformiert.
Cui Kai uns sein Team sehen ihr Projekt auch als ein Statement gegen die in der Volksrepublik noch immer weit verbreitete Meinung, dass alte Industriegebäude vor allem Zeugnis einer rückständigen Entwicklungsstufe der chinesischen Wirtschaft seien, die es schnellstmöglich zu ersetzen gilt. Sie setzen stattdessen lieber auf eine Durchdringung von Alt und Neu.
In formaler Hinsicht ist das Resultat ihres Ansatzes, dass sie einerseits vor massiven Interventionen in den Bestand nicht zurückschrecken, dass andererseits aber Spuren des Vorherigen immer zu erkennen sind. Altes Dachtragwerk trifft auf neue Betonfertigteile und brüchiges Originalmauerwerk auf Corten-Stahl. Das räumliche Gefüge birgt dabei sowohl größere Plätze als auch kleinteiligere Bereiche bis hin zu versteckten Höfen. Sogar ein wenig Ruinenromantik konnte hier und da erhalten werden. (sb)
Fotos: Aurelien Chen, Wang Ke Yao, Zhuang Guang Yuan, Frederic Henriques
Zum Thema:
Auch in Chemnitz wurde gerade eine historische Spinnerei einer neuen Nutzung zugeführt.
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latimer | 09.06.2022 18:26 UhrPostindustrielle(s)
Es ist sehr spannend zu sehen, in welch immer größerem Variantenreichtum Architektur und Landschaftsarchitektur in diesem riesigen Land auf die Herausforderungen aus dem Industriezeitalter reagieren. Chapeau!
Auch scheut man sich insgesamt weniger wie bei uns, dabei experimentelle Strukturen und innovative Detailansätze auszuprobieren.
Nach meiner Beobachtung weicht die einstige Geringschätzung solcher Bauten schon seit langem einer Position des Stolzes auf diese Vergangenheit, die man zwar glücklicherweise immer mehr hinter sich läßt, die aber auch die Basis für heutige Prosperität legte.