„Moravia Manifesto. Coding Strategies for Informal Neighborhoods“ – so heißt ein über 300 Seiten starkes Buch, das zwischen Medellín und Berlin entstanden ist und sich mit den Mechanismen des Urbanismo Social auseinandersetzt. Ein fiktives Gespräch mit skeptischen Fragen, beantwortet von Friederike Meyer.
Moravia? Noch nie gehört.
Moravia ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete in Kolumbien. Hier leben fast 100.000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Siebenmal so viel wie in Berlin-Kreuzberg. Am Rand einer ehemaligen Müllkippe in der Millionenstadt Medellín haben sie sich seit den 60er Jahren angesiedelt. Manche Häuser reichen inzwischen über fünf Etagen. Kabelsalat, atemberaubende Konstruktionen, kuriose Erfindungen den wenigen Platz zu nutzen, wahnwitzige Dichte – die Menschen in Moravia sind Lebenskünstler.
Solche informellen Siedlungen gibt es viele und Bücher darüber auch. Warum soll ich mich mit dieser beschäftigen?
Laut einer Schätzung von UN-Habitat werden im Jahr 2030 rund 40 Prozent der Weltbevölkerung in Häusern leben, die diese Bezeichnung nicht verdienen, weil sie von minderwertiger Qualität sind. Architekten und Stadtplaner in aller Welt müssen sich künftig mit der Frage beschäftigen, wie diese Armensiedlungen funktionieren können.
Braucht man dafür gleich ein Manifest? Alle schreiben gerade Manifeste.
Moravia dient als Fallbeispiel für einen Planungsansatz, den die fünf Herausgeber Urban Coding nennen. Sie und die vielen Autoren wollen im Buch Wege aufzeigen, wie die Verantwortlichen aus Planung, Politik, Wirtschaft und Verwaltung gemeinsam mit den jeweiligen Bewohnern Transformationsprozesse anstoßen und umsetzen können.
Geht das ein bisschen konkreter?
Die Herausgeber arbeiten seit langem in Kolumbien. In Moravia haben sie 2017 eine Treppe aus Beton gebaut, die den Bewohnern einen sicheren Weg durch ihr Viertel bietet und zum sozialen Treffpunkt geworden ist. Im Buch zeigen sie unter anderem sechs Ideen für Moravia, die Studierende der TU Berlin und der Universidad Pontificia in Medellín erarbeitet haben: ein Labor für Landwirtschaft in der Stadt, Sozialwohnungen, kombiniert mit öffentlichen Plätzen und Gärten plus ein Tourismuskonzept, bei dem die Bewohnerinnen durch ihr Viertel führen.
Könnte interessant sein, aber wo soll ich das im Regal einsortieren?
Zwischen die Reiseführer und die Städtebauthemen zum Beispiel. Oder zu den Comics. Das Grafikdesign von David Voss, Ondine Pannet und Lisa Pflästerer vom Bureau David Voss aus Leipzig verortet die Gestaltung im derzeit angesagten Werkzeuglook. Und die großartigen Illustrationen von Dubian Monsalve geben der Geschichte von Moravia eine warme und menschliche Dimension.
Moravia Manifesto. Coding Strategies for Informal Neighborhoods
Moritz Ahlert / Maximilian Becker / Albert Kreisel / Philipp Misselwitz / Nina Pawlicki / Tobias Schrammek (Hg.)
344 Seiten
Englisch / Spanisch
Jovis Verlag, 2018
ISBN 978-3-86859-535-2
32 Euro