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09.12.2021

Buchtipp: Eugenio Miozzi

Modern Venice between Innovation and Tradition 1931-1969


Venedig, Piazzale Roma: Wer den Fehler macht, mit dem eigenen Auto ins historische Zentrum zu fahren, muss hier seinen fahrbaren Untersatz abgeben. Denn weiter geht es nur zu Fuß, Vaporetto oder Taxi-Boot. Zum Abstellen bietet sich das heute bestens restaurierte kommunale Parkhaus an, ein rationalistischer Bau, der auf Italienisch auch „autosilo comunale“ heißt.

Spötter sagen, der Autosilo sei das beste Gebäude in Venedig. Strahlend weiß, „form follows function“, innen eine doppelte Rampenanlage nach amerikanischem Vorbild, zum Platz hin ein leicht konvex gerundeter, verglaster Risalit. Das ist Razionalismo aus der Mussolini-Ära der besseren Art. „Nackt und schlicht wie die Trends von jenseits der Alpen“, notierte 1934 sein Entwerfer Eugenio Miozzi, ein gelernter Bauingenieur, der sich als Straßen- und Brückenbauer verstand und den Autoverkehr – zeittypisch – für zukunftsträchtig hielt. Dieser Mann hat Venedigs Infrastruktur in die Moderne katapultiert. Das Ende letzten Jahres erschienene Buch Eugenio Miozzi. Modern Venice between Innovation and Tradition 1931–1969 von Clemens F. Kusch macht Miozzis Arbeit in Venedig nun greifbar. Dazu gleich mehr.

„Venedig ist ein Themenpark mit Schrumpfungsproblematik“, sagte der zeitweilige Shrinking-City-Experte Philipp Oswalt vor rund 15 Jahren, als wir durch verlassene petrochemische Anlagen in Mestre-Maghera auf dem venezianischen Festland stiefelten. Es ist ja wahr: Im Weltkulturerbe des Centro Storico leben heute nur noch 50.000 Menschen dauerhaft, weniger als ein Drittel gegenüber dem Stand von 1950. Zwar können sie an jeder Ecke Souvenirs, Snacks, Drinks und Markenschuhe kaufen, aber kaum mehr irgendwo einen Liter Milch.

Zurück ins frühe 20. Jahrhundert: Unter Mussolini wurde Venedig modernisiert, Festlandgemeinden wurden zu Groß-Venedig zusammengeschlossen und die Infrastruktur wurde erneuert. Dass Venedig heute 30 Millionen Touristen jährlich überhaupt irgendwie bewältigen kann, liegt auch am Wirken von Eugenio Miozzi.

Als Chefingenieur der Stadtverwaltung Venedigs von 1931 bis 1954 trieb er vor allem den Bau von Brücken, Straßen und Hochwasserschutzanlagen voran. Als „Ingenieur-Architekt“ entwarf er das Parkhaus am Piazzale Roma ebenso wie das städtische Casino auf dem Lido, Sitz der Filmfestspiele, außerdem zwei von (damals) drei Brücken über den Canal Grande und nicht zuletzt die Ponte della Libertà, die Automobilen (und Bussen!) überhaupt erst die Zufahrt zum historischen Zentrum ermöglichte.

Obwohl in Diensten des faschistischen Regimes, verstand sich Miozzi als pragmatischer Ingenieur und Erfinder, der zeittypische Modernisierungsaufgaben ohne politisch-ideologische Aufgeladenheit vorantrieb. Seine verkehrspolitischen Prämissen mag man nach heutiger Façon als stadtzerstörerisch beurteilen. Aus der Sicht des Protagonisten waren sie damals unbedingt erforderlich, um bessere Verbindungen zum Festland herzustellen und damit das Überleben der fragilen Stadt in der Lagune überhaupt zu sichern. Dabei gelang es Miozzi, Tradition und Moderne so auszutarieren, dass seine Eingriffe heute wirken, als seien sie schon immer da gewesen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Durchstich des Rio Novo mit seinen Brücken und Uferbebauungen.

Das Buch des in Venedig ansässigen Architekten Clemens F. Kusch zeichnet Miozzis Lebensleistung unaufgeregt, aber mit wissenschaftlichem Anspruch nach. Bei den Abbildungen gibt es ausschließlich historische Fotografien und Zeichnungen zu sehen, was dieser Publikation eine „dokumentarische“ grafische Anmutung verleiht. Farbige Bildbände über Venedig gibt es wie Sand am Meer. Dieses Buch hingegen ist etwas Besonderes.

Text: Benedikt Hotze

Eugenio Miozzi. Modern Venice between Innovation and Tradition 1931–1969
Clemens F. Kusch
(Hg.)
Englisch
240 Seiten
DOMpublishers, Berlin 2020
ISBN 978-3-86922-036-9
28 Euro

Das Buch ist auch auf Italienisch erschienen.


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Eugenio Miozzis Pläne für die Unterlagunen-Autobahn in Venedig

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Porträt von Eugenio Miozzi, circa 1920

Porträt von Eugenio Miozzi, circa 1920

Parkhaus an der Piazzale Roma, 1933

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Ein Foto aus dem Jahr 1933 zeigt die hölzerne Ponte dell’Accademia, die eigentlich nur als Provisorium gedacht war.

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