Es ist ein Bild, wie man es in der Architektur vor allem von maßstabssprengenden Verkehrsprojekten kennt: Zwischen alten, teils noch recht kleinteiligen Stadtvierteln ist eine raumschiffartige Großstruktur gelandet. Seit Kurzem lässt sich dieses Schauspiel im galizischen Vigo beobachten. Dort haben Morphosis (Los Angeles) einen bestehenden Bahnhof komplett überformt.
Die Hafenstadt Vigo liegt zwar im äußersten Nordwesten Spaniens, aber keineswegs im Abseits: Eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn ermöglicht eine schnelle Anbindung an Madrid und andere Großstädte des Landes. Zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gehörte auch die Umwandlung des früheren Regionalbahnhofs Vigo-Urzaíz in den multimodalen Verkehrsknotenpunkt Vialia Vigo TGV Station. Neben Morphosis waren an der Realisierung des Projekts BDU Arquitectura (Madrid) sowie das international agierende Büro L35 mit Sitzen in Barcelona und Madrid beteiligt.
Die Transformation, die ein 4,75 Hektar großes Areal und rund 120.000 Quadratmeter Geschossfläche umfasst, vollzog sich in zwei Bauabschnitten. Phase 1 erfolgte unter Bauherrschaft des öffentlichen Unternehmens ADIF, das die spanische Bahninfrastruktur managt. Sie beinhaltete im Wesentlichen Umbau und Erweiterung des Bestands zum Hochgeschwindigkeitsbahnhof und wurde 2021 abgeschlossen. Die nun fertiggestellte Phase 2 fügte dem Komplex zwei Shoppingebenen hinzu. Die Bauherrschaft dafür lag beim auf Einkaufszentren spezialisierten Immobilienentwickler Immochan España.
Eingebettet in die bergige Topografie von Vigo, überwindet der sechsgeschossige Bahnhofskomplex einen Höhenunterschied von 17 Metern zwischen einem Viertel am Hang und dem Stadtzentrum. Seine weitläufige Dachlandschaft bildet einen circa 30.000 Quadratmeter großen öffentlichen Platz mit Blick auf das Meer. Neben mehreren Pavillons, die den Zugang zu den unteren Ebenen bilden, bietet die Anlage Raum für urbane Freizeitaktivitäten wie beispielsweise Skaten.
Direkt unterhalb des Platzes befindet sich das über zwei Geschosse laufende Einkaufszentrum mit über 125 Geschäften, Restaurants und einem Kino. Sein großes Atrium bildet zugleich das Herzstück des Bahnhofs samt der Haupteingangshalle. Seinen Abschluss bildet ein schmales Oberlichtband.
Während der Bau auf drei Seiten dicht in die urbane Textur integriert ist, öffnet er sich an der Nordwestfassade mit viel Glas in Richtung Stadt und Hafen. Hier umspielt eine perforierte Stahlverkleidung die Kubatur, was für Dynamik sorgen soll. Große Buchstaben verkünden den neuen Namen des Bahnhofs. Ein Vorplatz schafft die Verbindung zum benachbarten Busbahnhof.
Seiner Funktion als Mobilitätshub wird der Komplex aber nicht nur durch öffentliche Verkehrsinfrastruktur gerecht. Eine Autogarage mit 1.500 Plätzen sowie neu geschaffene Fahrradwege und Fußgängerverbindungen fokussieren auch auf den Individualverkehr. Dank Einkaufszentrum und Dachpark überwiegt am Ende aber in jedem Fall das kollektive Moment. Der Verkehrsknoten könnte damit auch ein sozialer Treffpunkt für Vigo werden. (da)
Fotos: Roland Halbe
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arcseyler | 22.07.2023 15:58 Uhr.......
diese ungebremst inszenierte Wegdominanz durch schwungvolle Horizontalen, hätte besser durch vertikale Säulenelemente in die Stadt eingebremst werden können. Aber dann wäre es nicht Morphosis.