Rund 18.000 Quadratmeter Nutzfläche bei einem Fußabdruck von gerade 170 Quadratmetern? Das klingt erstmal ziemlich radikal. Der Grund für das besondere Verhältnis bei diesem Neubau in Utrecht ist aber bereits aus der Vogelperspektive zu erkennen: Auf breiter Trasse führen die Straßenbahn ebenso wie mehrere Buslinien direkt unter das Gebäude. Neben dem Hauptbahnhof befindet sich hier eine zentrale Station für den öffentlichen Nahverkehr. Entsprechend der gut erschlossenen Lage haben VenhoevenCS aus Amsterdam ein gemischt genutztes Gebäude entwickelt, das als „MicroCity“ firmiert.
In ihrer Beschreibung bezeichnen die Architekt*innen das Projekt als Beitrag zu einer kohlendioxidarmen, zirkulären Ökonomie der kurzen Wege. Gut angeschlossen ist das Gebäude nicht nur im Erdgeschoss, sondern auch über mehrere halböffentlichen Passagen auf den Etagen darüber. Innerhalb weniger Minuten erreicht man so einen Fernbahnsteig und ist wenig später in jedem anderen Teil der Niederlande. Dass dies gar nicht notwendig sein muss, ist die eigentliche Idee der MicroCity. Oben wird nämlich in rund 200 Apartments gewohnt, während in den unteren Geschossen gearbeitet wird. Mit vielen Einzimmerapartments liegt der Fokus dabei auf einer jüngeren Zielgruppe, das Wörtchen „Gemeinschaft“ fällt oft in den Erklärungen der Verantwortlichen. Dazu passt, dass ein großes E-Sport-Team das Haus als Trainingszentrum nutzt und sowohl Wohn- als auch Gewerbefläche mietet. Darüber hinaus gibt es aber auch doppelgeschossige, „erwachsenere“ Einheiten.
Formal fügt sich das kantige Gebäude mit seinen weißen Fassadenpaneelen gut in die verdichtete Umgebung des Utrechter Bahnhofs ein, der unter anderem vom stattlichen Stadskantoor dominiert wird. Terrassen und Balkone lockern den Zwölfgeschosser auf, auch grüne Minigärten wurden zwischen den beiden Einzelvolumen, die aus einem gemeinsamen Sockel wachsen, integriert. Ansonsten gibt es viel Glas und eine hinter den Scheiben sichtbare Tragstruktur, die angesichts der geringen Grundfläche den Aufwand der Lastabführung durchaus erkennen lässt.
Interessant ist bei der MicroCity, wie hier spätmoderne Konzeptionen ganz entspannt neu interpretiert werden. So mancher 70er-Jahre-Komplex auch in der Bundesrepublik hatte schließlich ein ähnliches Programm – inklusive vieler halböffentlicher Räume, die heute aber meist vergittert und verrammelt sind. Vor düsteren Pinkelecken fürchtet man sich hier offensichtlich nicht; wobei die helle Fassade des Neubaus schon recht explizit den Wunsch nach porentiefer Reinheit austrahlt. (sb)
Fotos: Ossip van Duivenbode
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STPH | 22.07.2020 08:12 Uhr...
Holland sucht die Vertikale, wobei die vertikalen Zwischenräume noch wichtiger sind als die Türme