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03.04.2012

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Ikonenarchitektur von Delugan Meissl

Mit BauNetz-TV aus Amsterdam


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Ikonenarchitektur ist eigentlich out. In Zeiten der Wirtschaftskrise geht der Trend zu neuer Bescheidenheit und sozialem Bewusstsein. Nach Aufmerksamkeit heischende Werke von Stararchitekten werden deutlich harscher kritisiert als noch vor einigen Jahren, wobei man ihnen neben ihrer Kostspieligkeit auch gerne Selbstverliebtheit und Kontextlosigkeit vorwirft. Wer will schon noch die Metapher vom Gebäude als ortsfremdem Raumschiff lesen, das an seinem Standort gelandet ist? Genau so eine Ikone ist der Neubau des EYE Film Institute in Amsterdam von Delugan Meissl Associated Architects – und überzeugt dennoch.
 
Das EYE Film Institute ist aus einem Zusammenschluss des Niederländischen Filmmuseums und einiger kleinerer Filmstiftungen hervorgegangen. Bis vor kurzem saß das Filmmuseum noch in einem Altbau am Vondelpark, der jedoch schon lange viel zu klein war. Deshalb wurde 2005 ein internationaler Wettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben, hinter dem der damalige rijksbouwmeester Mels Crouwel als treibende Kraft steckte und aus dem das österreichische Büro Delugan Meissl als Gewinner hervorging. Am 5. April wird der Neubau eröffnet.
 
Unübersehbar thront der kristalline weiße Bau als Blickfang am Nordufer des Flusses IJ hinter dem Hauptbahnhof, flankiert vom ehemaligen Shell-Hochhaus aus den späten 1960ern – auf dessen Formensprache er subtil Bezug nimmt – und einem Grüppchen neuer Wohnbauten von der geleckten Sorte. Auch wenn Roman Delugan das nicht gerne hört, handelt es sich bei dem Gebäude zweifellos um eine Skulptur. Von jedem Standpunkt aus bietet der Bau, der abends zum riesigen Leuchtobjekt wird, einen anderen Anblick: Hat man ihn von Osten gesehen, ist er von Westen kaum wiederzuerkennen. Diese Dynamik der Wahrnehmung bildete die Basis des Entwurfskonzepts, das um den Bezug zwischen Film und Architektur kreiselte. Den Architekten zufolge thematisiert das Gebäude die "Überlagerung zweier kreativer Disziplinen, in deren Zentrum Realität und Fiktion, Illusion und tatsächliches Erleben stehen". Vor dem Auge des sich bewegenden Betrachters spielt sich ein Film ab, in dem der bauliche Gegenstand ständig seine Gestalt verändert. Daneben sollte das Gebäude aber auch einen Gegenentwurf zur üblichen Kinotypologie liefern, durch die der Besucher nach dem ewig gleichen Prinzip geschleust wird: Kasse, Popcornstand, Filmsaal, dann Ausgang durch die Hintertür. Dem haben die Architekten mit dem EYE Film Institute einen Kinobau gegenübergestellt, in dem Ein- und Ausgang gleichermaßen groß in Szene gesetzt und fast wichtiger als das Filmerlebnis werden.
 
Das Raumprogramm besteht aus einem Kinosaal mit 315 Plätzen im nach Norden auskragenden dritten Obergeschoss und drei kleineren Kinosälen mit insgesamt 327 Plätzen im Erdgeschoss und ersten Stock. Im Untergeschoss befindet sich neben den Büroräumen und einem Labor auch ein interaktiver Bereich mit Filmkapseln, in denen man sich Filme aus der Museumssammlung ansehen kann. Im zweiten Stock liegt ein 1200 Quadratmeter großer Ausstellungsraum. Der Zugang zum Gebäude erfolgt im ersten Geschoss und wird, von der Personenfähre vom Hauptbahnhof kommend, über eine langsam ansteigende Rampe erreicht. Von dort betritt man zunächst einen Raum, der im Raumprogramm gar nicht vorgesehen war, nun aber das Herzstück des Gebäudes bildet: ein großes Foyer mit Café, das als Aufenthaltsort und Verteiler fungiert. Diesen spektakulären Raum, in den alle Wege im Gebäude münden und der sich im Süden über eine große Glasfront zum Wasser öffnet, bezeichnen die Architekten als Arena. Tatsächlich erinnert seine Kuhlenform mit rundum ansteigender, skulpturaler Treppenlandschaft an ein Freilufttheater. An seiner Ausstattung wurde nicht gespart: An der Decke hängen Leuchten von Olafur Eliasson, die Bar besteht aus Corian und der Bodenbelag aus geöltem Eichenparkett. Eine große Terrasse am Wasser sorgt im Sommer für eine Verlängerung des Raums ins Freie.
 
Dank dieser Terrasse, der öffentlichen Funktion des Gebäudes und nicht zuletzt seiner Ikonenhaftigkeit verspricht man sich, dass das EYE Film Institute wesentlich zur Aufwertung seines Standorts im Stadtteil Noord beitragen wird. Das Stadtviertel jenseits des Flusses IJ liegt zwar nur einen Katzensprung vom Zentrum entfernt, ist aber aufgrund des Fehlens von Brücken nur mit der Pendelfähre und durch Autotunnels erreichbar. Früher befanden sich in Noord nur Hafenanlagen und Wohngebiete für Hafenarbeiter, in die es im Laufe der Zeit auch viele Immigranten zog. Noch immer gilt Noord deshalb als ruppige "schäl Sick" von Amsterdam – obwohl bereits seit einigen Jahren ein Gentrifizierungsprozess im Gange ist. Spannende urbane Brüche, wie es sie im puppenstubigen Amsterdam sonst wenig gibt, gepaart mit bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum in Zentrumsnähe sorgen dafür, dass Noord sich allmählich verändert.
 
Auch die Umgebung des EYE Film Institute sah vor wenigen Jahren noch ganz anders aus. Mit dem Overhoeks-Viertel, das im Norden an den Neubau anschließt und zu dem unter anderem Gebäude von Alvaro Siza und Tony Fretton gehören, wurde vor etwa zwei Jahren das allererste hochpreisige Wohngebiet in Noord realisiert. Im derzeit leerstehenden Hochhaus neben dem Film Institute saß früher Shell, und in dem aufgeständerten Pavilloncluster zu seinen Füßen befand sich die Konzernkantine. Hinter dem jetzigen Film Institute lag damals ein abgeschlossenes Gelände mit Laborgebäuden von Shell, die abgerissen wurden, als der Konzern 2009 an einen weiter nördlich gelegenen Standort umzog. Nun befindet sich dort eine riesige Brache, auf der eigentlich weitere prestigereiche Wohn- und Bürobauten sowie ein kleiner Park entstehen sollen – sobald die Wirtschaftskrise den niederländischen Baubetrieb nicht mehr völlig lahmlegt.
 
Auch wenn das EYE Film Institute deutlich Bezug auf den benachbarten Turm nimmt, bleibt noch abzuwarten, wie das Verhältnis zu seiner restlichen Nachbarschaft sein wird. So einladend seine Wasserseite aussieht, ist seine völlig geschlossene Rückseite eine ziemlich kalte Schulter, und vermutlich wird der Bau deshalb allen Hoffnungen zum Trotz mehr nach Süden als nach Norden abstrahlen. Dabei handelt es sich übrigens auch um ein Strahlen im wörtlichen Sinne, denn seine weiße Fassade aus aluminiumbeschichteten Sandwichpaneelen reflektiert das Sonnenlicht und ändert je nach Witterungsverhältnissen ihren Farbton. Abgesehen davon, dass die Architekten bereits die Fassade des Porsche Museums in Stuttgart mit ähnlichen weißen Paneelen verkleideten, gab es in Amsterdam auch einen handfesten Grund für diese Materialwahl: Die Fugen zwischen den Paneelen bieten Spielraum für statisch bedingte Verformungen der Gesamtstruktur, welche aus einer gigantischen Stahlkonstruktion über einem Betonsockel besteht. Solche Verformungen sind durchaus zu erwarten, denn der Grund in Amsterdam ist schlecht, das Gebäude hat – wie alle Bauten in der Grachtenstadt – eine Pfahlgründung und dürfte sich im Laufe der Zeit noch ein wenig setzen.
 
Die Form der Gebäudehülle scheint von außen recht willkürlich. Man darf annehmen, dass es bei ihrer Gestaltung neben dem Bezug zum Overhoeks-Turm vor allem um das filmische Element und damit um die Erzeugung von Allseitigkeit ging. Im Inneren ergeben sich aus der Form der Hülle rund um die orthogonalen Säle eigenwillige Resträume, die als Erschließungsflächen und Foyers dienen. Obwohl nicht alle räumlich gelungen sind, bieten die meisten doch eine interessante Raumerfahrung, die im Kontrast zur schlichten Rechtwinkligkeit der Säle steht. Überhaupt ist die Erhöhung der Verkehrszonen zum wichtigsten Bereich des Gebäudes einer der überzeugendsten Entwurfsideen der Architekten. Die "Arena" des EYE Film Institute kann man jedenfalls mit Fug und Recht als beeindruckendste öffentliche Raumlandschaft in Amsterdam bezeichnen. In diesem Sinne ist das Gebäude zwar eine skulpturale Ikone am IJ, eröffnet aber gleichzeitig auch als Kommunikationsraum den Blick auf die Stadt und seine Besucher. (Anneke Bokern)

Fotos: Iwan Baan


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