Wohnen für das Existenzminimum – das war in der Zwischenkriegszeit ein großes, ernsthaftes Thema für sozial engagierte Architekten. Damals fragte man sich: Wie kann angesichts von Wohnungsnot und ökonomischer Krise gut für Menschen mit wenig Geld gebaut werden? Kompakte Grundrisse, optimierte Möbeleinbauten, wandelbare Räume, die tagsüber als Wohnzimmer und nachts als Schlafzimmer genutzt werden können – all das wurde damals entworfen und teilweise auch gebaut.
Fragen des günstigen und praktischen Wohnens sind auch heute noch virulent, doch vieles hat sich verändert. Dass ein minimiertes Wohnen, reduziert auf das existenziell Notwendige, auch als bewusste lebenspraktische Übung zelebriert wird, hätten sich die Architekten vor einem knappen Jahrhundert sicherlich nicht erträumt. Die Stockholmer Architektin Hanna Michelson hat aber genau dies nun für eine gehobene Klientel ermöglicht, in Form eines außergewöhnlichen „Hotelzimmers“, das in der Weite der Wälder Mittelschwedens steht.
Gut zehn Meter ist das schmale Haus hoch, das Michelson realisiert hat. Die Konstruktion ist klar, simpel und überall nachvollziehbar. Außen sind Kiefer- und Fichthölzer gearbeitet, für die Möbeleinbauten wurden Birkensperrholz und Esche verwendet. Isoliert wurde – im Rückgriff auf alte skandinavische Bauweisen – mit Flachsfasern. Zwei Ebenen mit je 14 Quadratmetern können genutzt werden: Unten gibt es einen Wohnraum, oben eine offene Fläche unter dem luftig aufgesetzten Satteldach. Rückzug, Aussicht und die Nähe zur Natur spielen für Bauherren und Architektin offensichtlich eine zentrale Rolle. Das Haus ist klar gesetzt, der Wohnraum hat nur ein einziges, großes Fenster, an dem eine Eckbank liegt. Es gibt eine Toilette, aber weder Dusche noch Küche. In diesem Sinne ist das edel gestaltete Häuschen tatsächlich ein simples Hotelzimmer und funktioniert nur in Kombination mit dem „Mutterhaus“ – einem Hotel mit Spa in der Nähe.
Es geht also um Entschleunigung, Rückzug auf das Notwendige, Konzentration auf Grundbedürfnisse – und um die Überhöhung dieser Übung. Das Projekt agiert am schmalen Grad zwischen Meditation und Prätention. Denn die programmatische Reduktion der Dinge geht unweigerlich mit ihrer ästhetischen Fetischisierung einher. Jeder Handgriff wird zum bewussten Akt, jedes Objekt bekommt größte Aufmerksamkeit. Am deutlichsten wird diese Haltung vielleicht am Bett: Futons und eingerollte Bettdecken hängen tagsüber dekorativ an der Wand.
Der Ort dieser alternativen Lebensführung auf Zeit ist also aufwändig gestalteter Raum, ein perfektes Setting für den Rückzug in die essenzialistische Reduktion. Man ahnt es: Nur wer im Alltag genügend gestresst ist und hoffentlich auch dementsprechend verdient, wird sich den Aufenthalt im und die kleine Übung auf Verzicht leisten können, wollen und vermeintlich müssen. Allen anderen sei der genaue Blick auf das Projekt und manch interessantes Details empfohlen. (gh)
Fotos: Hanna Michelson
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