Die Verbindung der Architektur von Mies van der Rohe mit der traditionellen Architektur Japans scheint zuerst nicht so offensichtlich, da die Architekturen doch aus völlig unterschiedlichen Kontexten stammen. Auf der einen Seite der deutsch-amerikanische Architekt, der mit seinen Entwürfen die urbane Moderne entscheidend mitprägte, auf der anderen Seite die japanische Kultur, in der die Architektur naturbezogen und abgeschirmt war und sich nach den strengen Regeln des Lebens ausrichtete. Inge Andritz zeigt in diesem Buch, welche konkreten Analogien und Verbindungen zwischen diesen beiden so diversen Welten bestehen.
Basierend auf der Dissertation der Autorin von 2009 mit dem Titel „Raumauflösung. Mies van der Rohe und Japan – eine Vernetzung“, nähert sich die Autorin mit einem sensiblen Gespür für die Verbindungsebenen der Architektur aus Japan und der van der Rohes an. In feinsinnigen Beschreibungen bettet sie die Entwürfe in die Lebensgeschichte des Architekten ein. So eröffnet das Buch zugleich neue Sichtweisen auf die Schaffensphasen des Vetreters der Moderne. Obwohl Mies anders als viele seiner Kollegen nie in Japan war, erkennt Andritz indirekte Analogien und Inspirationen, wobei sie sich vor allem auf die Gemeinsamkeiten im Raumgefüge konzentriert.
All dies passiert in einem minimalistischen Büchlein mit schlichtem Cover, festem , aber samtigem Papier und großzügigem Weißraum im Seitenlayout. Dezente Schwarzweißfotos und Grundrisse bebildern die drei Essays – Raumkontinuum, Raumgefasste Leere und Der Einraum, in denen jeweils das Landhaus in Backstein, der Barcelona Pavillon und das Haus Farnsworth untersucht werden. Bei diesen Häusern, von denen nur letzteres noch in originalem Zustand existiert, handelt es sich um reine Entwürfe von Mies, die seine bahnbrechenden Ideen nahezu unverfälscht vermitteln.
Dem Zusammenhang von japanischer Architektur und den Entwürfen von Mies van der Rohe wurde schon früher nachgespürt, zum Beispiel bei Karin Kirsch oder Werner Blaser. Neu sind aber Herangehensweise und Prägnanz des Buches von Inge Andritz. Sie erkennt nicht nur formale Gemeinsamkeiten zum vormodernen japanischen Haus, sondern macht konkrete Zusammenhänge nachvollziehbar, durch die Mies in Berührung mit der japanischen Architektur kommen konnte und stellt ihre Erkenntnisse in einen größeren Kontext.
Text: Natalie Scholder
Mies van der Rohe und Japan
Inge Andritz
176 Seiten
Deutsch
müry salzmann, Salzburg/Wien 2018
ISBN 978-3-99014-169-4
28 Euro
Inge Andritz stellt ihr Buch am Freitag, 22. März um 19 Uhr im ÖFGA in Wien vor. Im Gespräch wird die Autorin mit Walter Ruprechter, der sich mit dem Kulturaustausch zwischen Japan und dem Westen beschäftigt, über die unterschiedlichen Lesarten der japanischen Kultur diskutieren. Weitere Info hier.