Aufgewacht: Es ist immer noch Bauhaus-Jahr! Zusätzlich kommt morgen ein weiteres gewaltiges Jubiläum auf uns zu: Am 17. August jährt sich Mies van der Rohes Todestag zum 50. Mal – 100 Jahre Bauhaus-Geburt treffen auf 50 Jahre Mies-Tod. Da ist die wunderbar gezeichnete Graphic Novel Mies van der Rohe. Ein visionärer Architekt des spanischen Ex-Architekten und nun überzeugten Comiczeichners Agustín Ferrer Casas eine ausgesprochen aktuelle und angemessene Hommage.
Schon vor Jahren hat Casas nach eigenen Angaben mit der Arbeit an diesem Buch begonnen. Das glaubt man gerne, hat er sich doch das komplette Leben von Mies auf 176 Seiten vorgenommen. Erzählt wird vom alten Mies selbst, der in der luxuriösen Lounge eines Flugzeugs auf dem Weg nach Berlin zur Baustelle seiner Neuen Nationalgalerie, gemütlich mit seinem Enkel Dirk Lohan plaudert. Das ist ein hübscher dramaturgischer Kniff, denn es erlaubt erstens das Unterbringen einiger vielleicht nicht ganz sicher belegbarer Ereignisse. Es erlaubt zweitens einige selbstbewusste Übertreibungen und drittens erlaubt es, dem Enkel ein paar zarte Widerspruchsversuche in den Mund zu legen: „Ich wollte bauen, darin besteht nun mal die Arbeit von uns Architekten.“ – „Selbst wenn das bedeutete, mit einem autoritären deutschen Staat wie dem Naziregime zu liebäugeln?“ – „?! Du kannst mich mal, Dirk! Was weißt Du schon, mit wem ich geliebäugelt habe! Mal steckte man mich mit den Nazis in einen Sack, mal hieß es, ich arbeite für die Kommunisten. Pah! Miss! Bringen Sie mir bitte einen Martini!“
Hat Mies so gesprochen? Nein. So authentisch will Casas nicht sein, sein Buch ist ein wilder Ritt mit Mies durchs 20. Jahrhundert. In hohem Tempo ziehen politische Ereignisse und architektonische Highlights vorbei. Auch einige frühe, unbekannte Entwürfe wie Haus Perls und Riehl werden vorgestellt, Mies’ Probleme mit seinem Nachnamen, die Arbeit bei Bruno Paul und Peter Behrens, die Hahnenkämpfe mit Gropius sowie ungebaute Entwürfe wie das Hochhaus an der Friedrichstraße oder der Wettbewerbsbeitrag für ein Bismarckdenkmal. Im lockeren Gesprächston entsteht dabei mehr Tiefe, als man einer auf Breitenwirksamkeit angelegten Architekturvermittlung sonst zutraut – man schaue sich nur so verklemmte Bildungsauftragsschmonzetten wie „Lotte am Bauhaus“ in der ARD an, um einen tiefen Blick in die Abgründe echter Prime-Time-Oberflächlichkeit zu bekommen.
Allerdings entgeht auch Ferrer Casas dem erzählerischen Aufpeppen der Biografie nicht. Neben den knapp geschilderten Auseinandersetzungen mit Gropius, Behrens oder den Nazis und einem manisch-enthusiastisch durch den Comic schlingernden Philip Johnson (großartig!) müssen vor allem Frauengeschichten her. Casas betont, er wollte Mies auch als Mensch darstellen, nicht als Denkmal. Das klappt mit all den gescheiterten Beziehungen leicht: Ada Bruhn, Lilly Reich, Lola Marx, Edith Farnsworth – es geht nie gut aus und der große Architekt verhält sich ziemlich, nun ja, mies. Aber helfen diese Unzulänglichkeiten wirklich auf der Suche nach einem genaueren Bild des Menschen hinter dem Denkmal? Aus Mies’ familiärem Hintergrund als Steinmetzsohn und Marmorschleiferenkel ergeben sich jedenfalls neue Perspektiven auf seinen Umgang mit Stein und Marmor. Aber was sagen die Frauengeschichten aus?
Erstaunlich ist auch, dass die Frauen in einer derart bunten Geschichte seltsam farblos erscheinen. Mit der Kürze des Buches von 176 Seiten ist das nicht zu erklären, denn das Gerücht einer Affäre im Ersten Weltkrieg mit rüstiger Blondine und unehelichem Sohn nimmt volle fünf Seiten ein. Vielleicht ging es einfach nur darum, den berühmten Architekten mal in einer möglichst denkmal-ungeeigneten Pose zu zeigen: zufrieden und nackt, nach dem Beischlaf im Heuschober. Miss! Bringen Sie mir bitte einen Martini!
Text: Florian Heilmeyer
Mies van der Rohe. Ein visionärer Architekt
Agustín Ferrer Casas
176 Seiten
Carlsen, Hamburg 2019
ISBN 978-3-551-02294-3
20 Euro
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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STPH | 21.08.2019 10:28 Uhrmal was neues über Mies:
Mies als Eckenarchitekt. Durch seine ruhigen Raster entscheidet sich der Raum an der Ecke. Vom Detail bis zu den Megaecken seiner Hochhäuser und der Nationalgalerie. Absolut raumöffnend aufgeklappt wie eine Tür. Absolut Subjektiver Raum.
oder der Barcelonapavillon als Trennung der vier griechischen Elemente:
Rote Wand als Feuer, belichtete Milchglaswand als Luft, dunkelgrün gefasstes Becken als Wasser und gegenüber die Travertinstrukturen samt hellbekiestem Becken als Erde.
Die Materialvielfalt macht Sinn.
..und vieles mehr