Als Berlin fast schon seinen Ruf als „arm, aber sexy“ verloren hatte, galt Leipzig als nächster Paradiesort für kreative und junge Menschen in Deutschland. Dabei übt insbesondere Leipzig-West eine gewisse Anziehungskraft aus, das sich seit den 2000ern von einem Industriegebiet in ein gemischt genutztes Areal für Künstler*innen und Kreative verwandelt hat. Durch die Deindustrialisierung während der Wendezeit entstanden hier viele Industriebrachen, die Substanz für Themen wie Neubesiedelung und Revitalisierung bildeten. Seitdem fanden zahlreiche Akteur*innen in Kunstquartieren, Projekträumen und Galerien ihr Zuhause. Ein aktuelles Beispiel ist das Theater LOFFT in der Halle 7 der Baumwollspinnerei.
Hand in Hand mit dieser kreativen Entwicklung ist auch der Bedarf an Wohnraum deutlich gestiegen. In den westlichen Bezirken Lindenau und Plagwitz etwa war der Zuwachs der Bevölkerung am größten. Als Teil der Stadterneuerung dieses Gebiets sind seit 2015 mehrere große Wohnprojekte wie der Lindenauer Hafen entstanden. Die Wohnungsmarktlücke brachte auch Altlindenau auf den Radar. Statt der seit der Wende typischen Reihenhäuser entstehen dort nun immer mehr Geschosswohnungsbauten. Dazu gehört auch das Domizil Nathanaelstraße, das von dem ortsansässigen Büro Friedemann Rentsch Architektur entworfen und im letzten Jahr fertiggestellt wurde.
Was von außen recht unscheinbar wirkt, beherbergt im Inneren großzügige Eigentumswohnungen. Kubatur und Gliederung des sechsgeschossigen Baus sind laut Büro dabei dem gründerzeitlichen Mietshaus mit gewerblicher Nutzung nachempfunden. Die Typologie entwickelten Friedemann Rentsch Architektur zur reinen Wohnnutzung weiter. Bei der Materialwahl orientierte man sich ebenfalls an der lokalen, industriellen Baukultur. So ist das Gebäude straßenseitig geprägt durch den ortstypischen, dunklen Klinker, während die dem Hof zugewandte Fassade weiß verputzt wurde. Die ehemalige kleinräumige Gliederung im Hinterhof wurde allerdings zugunsten eines Punktwohnhauses neu interpretiert.
Die sechs Wohneinheiten mit zwei bis vier Zimmern nehmen jeweils ein komplettes Geschoss ein. Einzige tragende Elemente in den Wohnungen bilden zwei Stützen. Zusätzlich zu den Fensterbändern und der freien Gliederung der gartenseitigen Verglasungen erlaubt dies eine flexible Einteilung der Grundrisse sowie eine nachträgliche Anpassung der Wohneinheiten. 30 Prozent der 605 Quadratmeter großen Grundstücksfläche sind für Gartenfläche vorgesehen. Auch das Dach des Hinterhauses und das Garagendach sind begrünt, die Kosten für das Mehrfamilienhaus werden mit 2,15 Millionen Euro angegeben. (iva)
Fotos: Friedemann Rentsch, Michael Moser
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Kritischer Kritkenleser | 10.10.2022 15:39 UhrArbeitssuchend
Ich wüsste nicht, was dieses gelungene Stück Wohnmaschine eines engagierten Bauherr:innen-Konglomerats mit der deutsch-deutschen Geschichte zu tun hat. Auch eine Geschichte der Architektur von über 30 Jahren unter einem saloppen Begriff zusammenzufassen, greift hier wohl etwas zu kurz. Und für wen oder was soll es reichen, außer die Bewohnenden?
Im Gegenteil: Die Gestalt gewordene Reminiszenz an den alten Industrie-Standorts "Leipziger Westen" erinnert - vor allem übrigens auch durch seine ungewöhnlichen Proportionen - an die neu gewonnenen Kultur-Gut-Klassiker, die mit offenen armen von Investoren hin- und hergereicht werden, ohne sie auch nur im Ansatz nachhaltig zu nutzen, wie der Konsumzentrale, dem Castellum, die Bleichert-Werke oder ehemaligen Maschinenfabrik Swiderski in Plagwitz. Großzügiger Wohnraum, eine wohlige Atmosphäre und qualitative Oberflächen sind zudem der Lohn einer mutigen, aufwendigen, jedoch engen und modernen Zusammenarbeit mit den Bewohner:innen.
Im Vergleich zur momentan entstehende Schließung der Baulücke nebenan, kann hier in ein paar Monaten dann übrigens noch mal eine Diskussion über Qualität - nur dieses mal vielleicht begründet - initiiert werden.