Wie ein Fremdkörper fügt sich der skulpturale Bau der Médiathèque Charles Nègre in die verwinkelten Gassen der südfranzösischen Stadt Grasse. Als unerwünschter Eindringling lässt sich das Gebäude trotzdem nicht beschreiben. Denn gerade die fremdartige Erscheinung des weiß umhüllten Volumens sorgt dafür, dass die unscheinbaren dunklen Gassen und Gebäude der an einem Hang aufgeschichteten Stadt neu zum Leben erweckt werden. Entworfen wurde das 2022 fertiggestellte Gebäude von den beiden Büros Ivry Serres Architectures (Septèmes les Vallons) und Beaudouin Architectes (Nancy).
Die Abstände zu den Bestandsgebäuden sind teilweise so gering, dass die Schwierigkeiten, mit denen sich die Architekt*innen während Planung und Bau konfrontiert sahen, unschwer nachzuvollziehen sind. Wie in der Bauwelt zu lesen ist, kam es unter anderem zu archäologischen Funden aus der frühen Bronzezeit oder zum Einsturz eines baufälligen Nachbarhauses. Zudem habe man das Gelände terrassieren und die Mauern der Zisternen sowie Fundamente benachbarter Wohnhäuser verstärken müssen. Vom Entwurf bis zur Fertigstellung im letzten Jahr vergingen elf Jahre.
Trotz der extremen Dichte öffnet sich der Bau in die Nachbarschaft. Dazu trägt vor allem die luftige Hülle bei, die sich aus weißen, 15 Zentimeter dicken Beton-Rundelementen zusammensetzt. Der Vorhang wird nur an einzelnen Stellen gelüftet und gibt die dahinter liegende, etwa um einen Meter zurückversetzte Glassfassade frei. Die Hülle diene nicht nur als Sonnenschutz, sondern sorge auch für eine akustische Abschirmung, so Beaudouin und Ivry Serres.
Vor der Mediathek und ihrem Haupteingang befindet sich nun ein kleiner Platz mit Brunnen und flachem Wasserbecken, der Place du Rouachier. Die Planung des Außenraums, zu der auch die Entwicklung des gesamten umliegenden Viertels gehörte, übernahm das Büro STOA aus Marseille. Mit großer Geste kragt das Volumen weit über das Wasserbecken. Empfangen werden die Besucher*innen jedoch seitlich über einen schmalen, bescheidenen Zugang. Neben dem Hauptplatz ergeben sich weitere Außenräume rund um die Mediathek, die den Bau mit den historisch gewachsenen Strukturen der Umgebung verbinden.
Im Inneren entpuppt sich der Bau als eine Art Reminiszenz an die verwinkelten Gassen der Stadt. Auf einer Bruttogrundfläche von rund 4.400 Quadratmetern stapelten die Architekt*innen sieben Ebenen übereinander, die teils ein-, teils zweigeschossig sind. Durch eine Vielzahl an Galerien und Rampen ergibt sich eine luftige, raumgreifende Komposition. Betont wird die Leichtigkeit zusätzlich durch die Tonnendecken, die laut Architekt*innen außerdem größere Spannweiten ermöglichten.
Die Gestaltung sei inspiriert von Josep Lluís Serts Fondation Maeght, die derzeit saniert und erweitert wird. Es ist nicht das einzige Element, mit dem Ivry Serres Architectures und Beaudouin Architectes gestalterisch an regionale Baukultur anknüpfen. Auch bei der weißen Vorhangstruktur ließen sie sich von einem vernakulären Gestaltungselement inspirieren, der sogenannten claustra provençale – einem verschnörkelten Sichtschutzelement aus Ton.
Neben den Lesesälen berherbergt die Mediathek, deren Baukosten sich laut Angaben auf 13,4 Millionen Euro belaufen, einen Kinderbereich mit Betreuungsräumen, ein Auditorium und einen Vorlesesaal. Außerdem wurden Ausstellungsräume für die Dokumentation der Arbeit des namensgebenden Künstlers und Fotopioniers Charles Nègre untergebracht. Auf dem Dach schließlich befindet sich eine Terrasse mit Café, wo sich den Besucher*innen ein weiter Blick auf die umliegenden Hügel eröffnet. (dsm)
Fotos: Fernando Guerra, Agathe Rosa, Laurent Beaudouin
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Sebastian Illichmann | 02.10.2023 15:12 Uhrwunderbar
Sowohl aussen als auch innen sehr überzeugend. Anhand der Fotos kann ich rein gar nichts bedrückendes an den Aussenräumen erkennen. Ganz im Gegenteil. Die Freiräume sind luftig, hell und symphatisch. Die Konstruktionen und der Materialeinsatz sind klar nachvollziehbar. Ev. ein "friendly alien", aber definitiv freundlich und es muss ja auch nicht alles anbiedernd und angepasst sein.