Man darf sich nicht täuschen lassen von der beiläufigen Erscheinung dieses handlichen Buchs: Hinter dem weichen Hanf-Umschlag mit seinem unauffälligen Cover und dem auffordernden Titel entpuppt es sich als prallvolles Füllhorn. Angesichts von 44 Beiträgen von 47 Autor*innen und 48 Projektvorstellungen könnte man zuächst dazu tendieren, das Buch wieder zuzuschlagen und auf den Später-mal-Lesen-Stapel zu legen. Ich möchte jedoch an dieser Stelle dringend zur Lektüre raten. Denn es handelt sich bei Touch Wood. Material, Architektur, Zukunft um eine der klügsten und umsichtigsten Publikationen über das Thema Holzbau, zu dem es ja in letzter Zeit eine regelrechte Flut an Veröffentlichungen gegeben hat.
Touch Wood verweist gleich in der Einleitung auf einige der wichtigsten Aspekte, die im aktuellen Diskurs gerne beiseite gewischt werden. „Holz braucht Zeit“, „Holz ist nicht neu“, Holzsorten können sehr unterschiedlich sein und vor allem: Holz ist eine begrenzte Ressource, „deren Nutzung einen respektvollen und klugen Ansatz erfordert. Holz ist nicht das eine Material, das alle Probleme der gebauten Umwelt lösen kann“. Da möchte man gleich ein paar Ausrufezeichen verteilen, so richtig ist das.
Das Buch selbst demonstriert einen intelligenten und respektvollen Ansatz in der Struktur seiner drei Kapitel. Da geht es zunächst „Vom Wald zum Holz“, dann „Vom Holz zur Architektur“ und erst im dritten Kapitel schließlich um „Architektur aus Holz“. Die Stärke des Buchs liegt dabei in der Bandbreite seiner Beiträge. Die drei Herausgeber*innen Carla Ferrer, Thomas Hildebrand und Celina Martinez-Cañavate bauen in ihrer Praxis von Architektur und Stadtplanung schon seit Jahren auch mit Holz. Das Buch sei allein aus ihrem Bedürfnis heraus enstanden, mehr über Holz zu erfahren. Dieses ehrliche Interesse, das Thema ganz zu durchleuchten, ist in jedem Beitrag zu spüren. Da geht es um die verschiedenen Holzsorten in Europa, um den nötigen Umbau der Wälder, um produktive Landschaften oder um all die Holzsorten, die aufgrund ihrer sperrigen Eigenschaften bislang nicht im Vordergrund der Holzbauindustrie stehen – und wie auch diese vielleicht durch neue Technologien in Planung und Verarbeitung bald ebenfalls stärker genutzt werden könnten.
Es fällt schwer, einzelne Beiträge hervorzuheben – zu breit ist das Spektrum, um hier in Kürze aufgezählt zu werden. Unbedingt lesenswert erscheint der Text von Hubertus Adam zur (kurzen) Geschichte des Schweizer Holzhausbaus, der in Verbindung mit Stefan Kunz’ Essay über die historischen ländlichen Holzbauten noch besser wird. Äußerst erhellend ist aber auch Mario Rinkes Text über die Tradition der Wiederverwendung im Holzbau oder das kurze Statement von Yves Weinand zu einer neuen Architektur und Statik aus Krummholz oder der Text von Herzog & de Meuron über deren neuestes Projekt. Das energiepositive Gebäude soll unter Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen entstehen und die gesamte aufgebrachte graue Energie seines Baus in 30 Jahren kompensieren.
Während diese Essays und Statements in verschiedene Tiefen des Themas führen und eine Fülle an Inspirationen liefern, bleibt die Darstellung der Auswahl von 48 weltweiten Projekten – mit deutlichem Schwerpunkt auf der Schweiz übrigens – knapp. Jedes Projekt, unter anderem von DnA, Smiljan Radic, 6a architects, Diener+Diener, Gion Caminada, Herzog & de Meuron, Seiler Linhart, Helen & Hard oder White Arkitekter, wird auf zwei Seiten eher im Vogelflug angerissen. So entsteht ein interessantes und sicher auch gut ausgesuchtes Panorama der aktuellen Holzarchitektur, das jedoch flüchtig bleibt. Wer detailliertere Informationen zur Technik beziehungsweise zu den sehr unterschiedlichen Anwendungen von Holz in diesen Bauten sucht, der muss diese woanders finden.
Vielleicht reicht diese knappe Ausführung, um ein wenig von der Spannweite dieses erstaunlichen Buchs zu skizzieren. Dass dabei die Auswahl der Beiträge durchaus stark von den persönlichen Interessen der drei Herausgeber*innen gelenkt werden, zum Beispiel mit gleich drei Beiträgen zum japanischen Holzbau (unter anderem von Kengo Kuma), fällt entsprechend kaum ins Gewicht. So ist das Buch vielleicht am ehesten mit einem reich gedeckten Buffet zu vergleichen, an dem man sich auf das Üppigste mit größeren und kleineren Speisen und Getränken versorgen kann. Dabei sorgt die Breite des Angebots dafür, dass sicher jede*r satt werden kann – ob es sich nun um Laien oder Fortgeschrittene in Sachen Wald, Holz, Holzbau oder Holzarchitektur handelt.
Text: Florian Heilmeyer
Touch Wood. Material, Architektur, Zukunft
Carla Ferrer, Thomas Hildebrand, Celina Martinez Cañavate (Hg.)
Gestaltung: Integral Lars Müller
304 Seiten
Lars Müller, Zürich 2022
ISBN 978-3-03778-697-0
40 Euro