Wer schon einmal in Kroatien war, kennt sie: Bettenburgen und Hotelkomplexe, Bungalowanlagen und Ferienheime. Bauten der Moderne, errichtet in den 1950er, 60er oder 70er Jahren, heute verlassen und verfallen. Es sind Ruinen, in denen man neugierig zwischen wucherndem Grün und eingeschlagenen Fenstern auf Spurensuche gehen kann, auf Spurensuche nach einer Zeit, in der man mit der ganzen Familie an der Adria die Ferien verbrachte.
In einigen von diesen Hotels kann man bis heute übernachten – und sich auf Zeitreise begeben. In modernistischen Betonriegeln oder zwischen Wänden dünn wie Pappe nächtigen. Mit kugelrunden Fernsprechern, geschwungenen Treppen, aufwändigem Lampengehänge in der Lobby und knallbunten Installationen jugoslawischer Künstler*innen an den Wänden. Selbst Kellner – weißes Hemd, Weste, Bundfaltenhose –, Kantine und Speisenangebot scheinen mancherorts direkt dieser Zeit entsprungen. Es sind echte Zeugnisse einer vergangenen Ära. Sie heißen Hotel Neboder (Rijeka), Hotel Maestral (Brela) oder Hotel Palace (Dubrovnik).
Zu den touristischen Bauten an der kroatischen Küste ist kürzlich ein neues Buch erschienen: Mapping the Croatian Coast. A Road Trip to the Architectural Legacies of Cold War and Tourism Boom. Der größere Teil der hier versammelten Bauten ist längst außer Betrieb, etwa die einstige Ferienanlage für lungenkranke Kinder in Krvavica von 1964. Überall in Kroatien lassen sich solche Beispiele finden, besonders entlang der Jadranska Magistrala. Die kroatische Küstenstraße, Mitte der 60er eröffnet, ist selbst ein Produkt der Moderne und des Touristenbooms – und der rote Faden durch den architektonischen Reiseführer.
Über 675 Kilometer und 17 Stationen folgten Studierende der TU Wien dem Adria-Highway von Nord nach Süd. Die Stationen: Rijeka – in diesem Jahr übrigens europäische Kulturhauptstadt! –, Zadar, Sibenik, Split, Dubrovnik. Porträtiert werden einstige Juwelen der Adriaküste wie Grand Hotels und Bungalows, aber auch ehemalige und unzugängliche Militärkomplexe, Schiffsbunker und militärische Hotelanlagen, die von der Zeit des Kalten Krieges erzählen. Was sie vereint: Es sind allesamt Ruinen mit Meerblick. Unter der Leitung von Antonia Dika und Bernadette Krejs werden die Bauten anhand von aktuellen wie historischen Fotos, Lageplänen, Grundrissen und kurzen Texten vorgestellt.
Dazwischen sind Essays gestreut, etwa von Michael Zinganel, der bereits vor einigen Jahren zusammen mit Elke Beyer und Anke Hagemann ein Buch über kroatische und bulgarische Urlaubsarchitekturen veröffentlicht hat. Zinganel zeichnet den Weg der Küstenregion vom Tourismus des Sozialismus zum massenkompatiblem Konsumparadies nach. „Come and see the truth!“ war der Slogan, mit dem man im frisch gegründeten Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg Touristen aus Ost und West anlockte. Der Zerfall des Vielvölkerstaates setzte schließlich eine Privatisierungswelle in Gang, einige der Ruinen wurden kreativ umgenutzt, dienen heute als Autowerkstatt, Ölmühle oder Weinkeller. Viele der im Buch vorgestellten Bauten aber warten bis heute auf ihre zweite Chance. Was tun also mit den Überresten einer vergangenen Zeit?
Mögliche Antworten geben die 22 Studierenden anhand von Faltplänen. Acht Stück, hinten in der Klarsichthülle, in der das Buch eingeschlagen ist, verstaut. Konzeptionelle Karten, die sich den Phänomenen des Küstengebiets nähern, sich mit Tourismus, der Metamorphose von Ruinen und neuen Strategien der Mobilität und des temporären Wohnens unter dem Eindruck von Saisonalität entlang der Adriamagistrale beschäftigen.
Wie in einem echten Reiseführer gibt es auch ein kleines Wörterbuch – das von „I love you“ bis zu „I am an architecture student“ reicht –, Wissenswertes rund um die jeweilige Stadt und Tipps zu Restaurants, Bars und dem besten Blick auf den Sonnenuntergang. Am Ende bleibt man mit einer Mischung aus Erschrecken, Nostalgie und Neugier zurück. Und einer großen Portion Fernweh.
Text: Katrin Groth
Mapping the Croatian Coast. A Road Trip to the Architectural Legacies of Cold War and Tourism Boom
Antonia Dika / Bernadette Krejs (Hg.)
Englisch
143 Seiten
Jovis, Berlin 2020
ISBN 978-3-86859-648-9
30 Euro
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Lars K | 06.08.2020 09:05 UhrWunderbar
Bestellt. Ein solcher Roadtrip ist sowieso schon lange geplant, da könnte das hier genau der richtige Reiseführer sein, zusammen mit Srdjan Weiss und Michael Zinganel und Elke Beyer.