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19.01.2021

Trotz Hürden aufeinander zugehen

Magma Architecture über die Auswirkungen des Brexit


Großbritannien ist aus der EU ausgetreten. Was bedeutet das für die Architekturszene, den Nachwuchs und Projekte jenseits der frisch gezogenen Grenze? Lena Kleinheinz und Martin Ostermann vom Berliner Büro Magma Architecture über praktische Hürden, die Kultur der Partnerschaft und ein symbolisches Signal.

Interview: Friederike Meyer


Frau Kleinheinz, Herr Ostermann, Ihr Büro bearbeitet seit seiner Gründung 2005 Projekte in Großbritannien. Welche Auswirkungen hat der Brexit auf Ihre Arbeit?
Lena Kleinheinz und Martin Ostermann: Wir haben schon unmittelbar nach dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 ein Stocken in den Wirtschaftsbeziehungen wahrgenommen. So wurden damals laufende Projekte zwar fertiggestellt, aber neue kamen nur sehr zögerlich oder blieben in den ersten Entwurfsphasen stecken. Ein Bürohochhaus im Zentrum von London lief nach den ersten Verhandlungen mit den Behörden nicht mehr weiter, ein anderer Bürobau verebbte ebenfalls. Die Lage besserte sich etwas, als der erste Schock überwunden war. Überraschend war für uns jedoch, wie bereits Tage nach dem Referendum britische Kolleg*innen und Freunde Begriffe räumlicher und zeitlicher Distanz verwendeten. Während die einen ein „stage of denial“ konstatierten und um den noch in weiter Ferne liegenden Ausstieg bangten, war es für andere plötzlich en vogue, sich als Teil der „Cricket Playing Nations“ zu bezeichnen oder zu behaupten, man sei nie richtig Teil der EU gewesen. Uns ist bis heute nicht ganz klar, ob diese Aussagen von britischem Humor, Stolz oder Resignation zeugten.

Wie verändern sich die Arbeitsbedingungen
für deutsche Architekt*innen, die künftig in Großbritannien arbeiten wollen?
Erst einmal gibt es ganz praktische Hürden. Soweit ich das derzeit verstehe, erkennt das Architects Registration Board (ARB), die britische Architektenkammer, europäische Studienabschlüsse und Kammereinträge nicht mehr vollständig an. Wer in England praktizieren will, muss künftig – ähnlich wie in den USA und Kanada – einen Studienabschluss an einer britischen Hochschule und die beiden berufspraktischen Prüfungen in Großbritannien ablegen. Für bereits registrierte Büros bleibt die Kammereintragung zwar bestehen, aber wer neu auf den Markt will, hat es schwer. Bei Einstellung britischer Mitarbeiter*innen in Deutschland sind künftig Arbeitsgenehmigungen zu beschaffen und umgekehrt. Außerdem gibt es viele steuerliche Hürden, die wir in ihrer vollen Auswirkung vielleicht noch gar nicht überschauen. Für unsere Branche, die eher aus kleinen Unternehmen besteht, ist dies ein großes Hindernis. Möglicherweise werden sich Normen und Richtlinien weiter auseinander entwickeln, sodass fundierte Kenntnisse der regionalen Bedingungen des Bauens schwerer zu erwerben sein werden. Vertragsrecht und Honorarabrechnung waren schon immer völlig verschieden und werden sich wohl auch nicht annähern.

Die Ausbildung an den britischen Universitäten
hat großen Einfluss auf den europäischen Architekturdiskurs. Welche Perspektiven gibt es für den Nachwuchs?
Durch den Ausstieg Großbritanniens aus dem Erasmus-Programm wird es weniger Austauschstudierende in beide Richtungen geben. Vor allem für europäische Student*innen sind die Hürden hoch, kostet das Studieren in Großbritannien doch erheblich mehr als bei uns. Das Studium ist in den europäischen Ländern zwar formal durch die Bologna-Reform sogar nach britischem Vorbild synchronisiert, die Schwerpunkte sind aber sehr unterschiedlich. So sind die Brit*innen sehr entwurfsorientiert und konzeptionell, und die technischen Kenntnisse werden in den ersten Berufsjahren in den Büros vermittelt. Das Studium in Deutschland hingegen ist von Beginn an technischer Natur. Der Austausch bot bisher die Möglichkeit, von beiden Seiten das Beste mitzunehmen. Unsere Jahre an der Architectural Association und der Bartlett haben unsere fachlichen Horizonte enorm erweitert. Die Kontakte aus unserer Studienzeit in London begleiten uns seither und sind ein Grund, warum wir bis heute in Großbritannien tätig sind. Dass der Brexit diesen Austausch nun reduziert, wird zu einer kulturellen Verarmung führen.

Mit welcher Einstellung begegnen Sie
der Situation?
Wir kennen kein britisches Büro, das den Brexit gewollt hat. Wir haben unsere vielfältigen Beziehungen über Jahrzehnte aufgebaut und sollten sie uns nicht streitig machen lassen. In England gibt es eine Kultur der Partnerschaft in der Akquise und Umsetzung von Projekten. Wir würden es sehr unterstützen, wenn im Gegensatz zur politischen Trennung eine Kultur des Aufeinanderzugehens entsteht, in der deutsche und britische Büros gemeinsam Projekte akquirieren.

Was wünschen Sie sich von den Interessenvertretungen der Architekt*innen?

Die Vertretung der Architektenschaft in der EU und das ARB sollten sich schnellstmöglich an einen Tisch setzen und dafür sorgen, dass Eintragungen in die Architektenlisten gegenseitig anerkannt werden. Boris Johnson hat einen Ersatz für Erasmus versprochen. Darauf müssen neben den Unis auch die berufsständischen Organisationen drängen. Konkrete Hilfe für Studierende und junge Architekt*innen, die den Sprung über den Kanal wagen möchten, wäre angebracht. Wir verlieren alle, wenn das nicht gelingt. Überlegungen braucht es auch zur Frage, wie wir die kulturellen Bande bewahren und festigen können. Denkbar sind Ausstellungen zu den vielschichtigen Verknüpfungen der Insel mit dem Festland, kulturelle Partnerschaften zwischen Büros, Architects-in-Residence-Programme oder auch eine große symbolische Geste. Wie wäre es, wenn der Mies van der Rohe Award den Brexit einfach ignoriert und weiterhin Projekte aus Großbritannien nominiert und prämiert?


Zum Thema:

magmaarchitecture.com


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Lena Kleinheinz und Martin Ostermann gründeten 2005 das Büro Magma Architecture.

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Magma Architecture plante unter anderem die temporären und mobilen Sportschießanlagen für die Olympischen Spiele in London 2012.

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