Photovoltaik ist keine Raketenwissenschaft. Obwohl ihr erster praktischer Auftritt im Weltraum stattfand: 1958 als Energiequelle des Satelliten Vanguard 1. Noch heute fliegt diese allererste PV-Anlage durch den Orbit. Längst aber hat die Photovoltaik ihren Weg in die irdische Architektur gefunden und wird inzwischen bei so gut wie jedem Projekt verwendet. Ein Bauteil für die breite Masse. Und trotzdem hört man selten jemanden sagen: „Das ist aber eine schöne Photovoltaik-Anlage!“ Ist sie also mit Blick auf die Gestaltung doch eine Raketenwissenschaft?
Die Autoren Daniel Mettler und Daniel Studer (die an der ETH Zürich die Dozentur für Bautechnologie und Konstruktion leiten) haben den Spieß umgedreht und die technische Lösung Photovoltaik zur Grundlage einer höchst ästhetischen Publikation gemacht. In Made of Solar zeigen sie im strengen Wechsel ganzseitige Nahaufnahmen und ganzseitige Detailzeichnungen von „Solararchitekturen“ aus der Schweiz. Die Fotos stammen von Yufei He, der die 24 Bauten in ein überraschendes Licht rückt. Anstatt in praller Sonne, stellt er sie bei Nacht dar. Die Bauten fotografierte er offenbar mit Blitz, den Himmel in Langzeitbelichtung. Das Ergebnis sind äußerst artifizielle Bilder. Im Kontrast folgen jeweils Detail-Axonometrien im Maßstab 1:10 oder 1:1.
„Man muss dem Gebäude die Nachhaltigkeit nicht zwingend ansehen“, zitiert Architekturjournalist Axel Simon in seinem Buchbeitrag den „Solararchitekten“ Karl Viridén. Dieser Leitsatz gilt auch für das Buch selbst. Das Aufsplittern der Formate Bild, Plan, Detail und Legende in eigene Kapitel wirkt reduziert und formbewusst. Dem exakten Verständnis der präsentierten Konstruktionen muss man so allerdings mit ausgiebigem Blättern nachhelfen. Während im vorderen Teil also die pure Ästhetik ausgespielt wird, folgen hinten die Fakten: konkrete Bauteilaufbauten, Verlegearten wie Indach, Aufdach und in der Fassade, Schneefang-Prinzipien oder die beteiligten Planer*innen.
Zusammengedacht werden Gestaltung und Technik vor allem in Simons kurzem Essay. Er schlägt darin den Bogen von der Schweizer Architektur seit den 1980er Jahren, die für Solartechnik nichts übriggehabt habe, hin zu einem heute gängigen „Solarstil“, der Photovoltaik pragmatisch und offensiv zur Schau trägt. Als Schlüsselprojekte dieser Entwicklung benennt er das Haus Solaris von Huggenbergerfries (eine „Revolution“) und das Amt für Umwelt und Energie von jessenvollenweider (eine „PV-Fassade zum Niederknien“). Bei beiden beschreibt er allerdings auch, dass deren Schönheit nicht ohne Kompromisse bei Kosten und Effizienz zu haben war.
Das Buch kann man vor allem als Perspektivwechsel lesen. Keine wissenschaftliche Abhandlung über ein Bauteil, das auf jenem photoelektrischen Effekt basiert, für dessen theoretische Erklärung Albert Einstein 1922 den Nobelpreis erhielt. Sondern eine ästhetische Annäherung an ein zentrales Element der Energiewende.
Text: Maximilian Hinz
Made of Solar
Daniel Mettler, Daniel Studer, Yufei He (Hg.)
Gestaltung: Vieceli & Cremers
176 Seiten
Birkhäuser Verlag, Basel 2024
ISBN 978-3-0356-2874-6
56 Euro