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11.02.2021
Ganz Kreuzberg vertikal
Mad und Mud gewinnen Hochhauswettbewerb in Berlin
In Berlin-Kreuzberg ist ein Hochhaus für die vielgerühmte „Berliner Mischung“ geplant. Aus nachwachsenden Baustoffen, begrünt bis über beide Ohren, durchzogen von Wegen und Passagen, umspielt mit einem Park voller Spielplätze und programmiert mit allem, was sich eine soziale Stadt nur wünschen kann. Die Umschreibung des frisch gekürten Wettbewerbsentwurfs klingt fast zu schön, um wahr zu werden.
Von Friederike Meyer
Seit der Berliner Senat Ende Februar 2020 ein Hochhausleitbild beschloss, gilt in der Hauptstadt: Neubauten mit mehr als 60 Metern Höhe müssen multifunktional genutzt werden, im Erdgeschoss und ganz oben öffentlich zugänglich sein, sich durch besondere Nachhaltigkeit in Bezug auf Energieeffizienz, Ökologie und Funktionalität auszeichnen und im Wettbewerb vergeben werden. In diesem Sinne macht die UTB Construction & Development bisher alles richtig. Auf einem schmalen, langen Grundstück an der Schöneberger Straße, zwischen Anhalter Bahnhof, Tempodrom und Landwehrkanal, will das Unternehmen mehr als ein Hochhaus errichten. Es soll ein innovatives, vertikales Stadtquartier mit Gewerbeeinheiten, sozialer Infrastruktur und Gemeinschaftsflächen werden, ein Vorbild für andere Wohnhochhäuser. Ende 2019 hatte der Investor dem Baukollegium einen Entwurf von gmp präsentiert und seine Pläne mit Anwohnern diskutiert. Das Ergebnis: Ein Wettbewerb muss her, und die Verschattung der Nachbarn ist ein großes Thema.
Die Eckdaten des WoHo lesen sich vergleichsweise ambitioniert: 18.000 m² Nutzfläche, 25 Prozent Gewerbe, 60 Prozent Wohnungen, davon je ein Drittel mietpreisgebunden, freifinanziert und Eigentum, Wohnformen für soziale Träger, Demenzerkrankte und Studenten, dazu E-Ladestationen und Fahrradgaragen. Wie das aussehen und funktionieren kann, darüber befand die Jury des eingeladenen Realisierungswettbewerbs für Architekten mit Landschaftsarchitekten, der Ende Januar entschieden wurde. Unter Vorsitz von Christa Reicher diskutierten unter anderem Marta Doehler-Behzadi, Andreas Garkisch, Ute Schneider, Julia Tophof, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt über die Maßstäblichkeit, die Positionierung des Hochhauses im Hinblick auf Verschattung und seine Realisierbarkeit im bau- und planungsrechtlichen Zusammenhang. Unter sechs teilnehmenden Teams vergaben sie folgende Preise:
- 1. Preis: Mad arkitekter (Oslo) mit Mud (Bergen)
- 2. Preis: Partner und Partner Architekten, Günter und Finkbeiner Architekten mit lavaland und Treibhaus (alle Berlin)
- ein 3. Preis: be baumschlager eberle architekten mit Locodrom Landschaftsarchitekten (beide Berlin)
- ein 3. Preis: ZRS Architekten mit schönherr Landschaftsarchitekten (beide Berlin)
Dass Mad mit Mud (1. Preis) alle lokalen Mitbewerber hinter sich gelassen haben, wird wohl vor allem in Norwegen für Jubel gesorgt haben. Sie schlagen vor, das knapp 100 Meter hohe Gebäude mit Ausnahme der Erschließungskerne in Holzbauweise zu errichten. Neun Holzgrundmodule kombinieren sie hierbei zu unterschiedlichen Fassadenbildern. Inwiefern das wie dargestellt möglich sein wird, bleibt offen. Die Jury beurteilte die Holzfassade aus brandschutztechnischer Sicht jedenfalls „kritisch“. Vielmehr erkannte sie funktionale und städtebauliche Qualitäten in der Interpretation von Block- und Hoftypologien. Gewerbliches Wohnen, Familien- Cluster-, Studio- und Betreutes Wohnen sind im Gebäudesockel untergebracht, für geförderte, freifinanzierte Genossenschafts- und Eigentumswohnungen gibt es vier einzelne Häuser. Am Fuß des Turmes bilden sie vier Höfe, die zur Nachbarschaft offen und untereinander durch Passagen verbunden sind. Die Jury würdigte die freie Treppe, die durch den Gebäudesockel bis ins 7. Obergeschoss führt. Die „konventionellen Grundrisse“ hingegen würden „dem Anspruch an ein innovatives Wohnen nicht gerecht“ werden.
Bei ihrem Entwurf „Kreuzberg macht Platz“ bilden Partner und Partner Architekten, Günter und Finkbeiner Architekten mit lavaland und Treibhaus (2. Preis) am Sockel eine umlaufende, 12 Meter hohe Pergola aus, die den gesamten Freiraum überspannt. Durch das Fassadengerüst wirke das Hochhaus offen und zeige mit den eingehängten Balkonen seine Nutzung als Wohnhochhaus, lobte die Jury. Den Antritt im Straßenraum mit der Pergola als Sockel diskutierte sie jedoch kontrovers. Sie würdigte den Cradle-to-cradle-Ansatz des Hauses, äußerte aber im Hinblick auf die Umsetzung Fragezeichen. Weißes Wellblech als Fassadenmaterial und die Stahlkonstruktion des Außengerüst empfand sie für ein Holzhaus „nicht angemessen“.
Be baumschlager eberle architekten mit Locodrom (ein 3. Preis) gliedern ihren Entwurf in Hochhaus und Gartenhaus, die ein sogenannter „schwebender Sockel“ zusammenhält. Die Jury lobte das architektonische Motiv der Brücke, das eine sinnvolle funktionale und gestalterische Verbindung von Vorder- und Hinterhaus und eine differenzierte Freiraumerschließung gestatte. Zweifel äußerte sie an der enormen Vielfalt unterschiedlicher gewerblicher und Nachbarschaftsnutzungen, den geringen Geschosshöhen, am konzeptionellen Zusammenhang der Haustechnik und an der brandschutzkonformen Umsetzbarkeit der sichtbaren Holzkonstruktion an der Fassade.
ZRS Architekten mit schönherr (ein 3. Preis) stellen den Turm an die Schöneberger Straße und dahinter das Kinder-und Werkhaus, so dass eine Passage entsteht. Kritisch sahen die Preisrichter deren wenig ausgewogene Proportionen und den kräftigen Auftritt an der Straße. Sie lobten die rohe, robuste und bescheidene Anmutung als passend kreuzbergerisch, offen und aneignungsfähig sowie die Ablesbarkeit der verschiedenen Nutzungen und vor allem die vertikal verknüpften Gemeinschaftsflächen der Wohngeschosse. Zugleich hinterfragten sie deren Realisierungsfähigkeit, da der brandschutztechnische Aufwand kostenintensiv sei.
Menschen verschiedenster Herkunft sollen im Woho auf engem Raum zusammenwohnen, arbeiten und vielleicht ja auch produzieren – so wie einst in den dicht bebauten Kreuzberger Blöcken mit ihren vielen Hinterhöfen. Dass eine einfache Übertragung dieser besonderen Mischung in die Vertikale funktioniert, darf bezweifelt werden. Die Ambitionen der UTB aber kann man anerkennen. „Wir gehen dahin, wo es weh tut und wir trauen uns, in alle Richtungen neu zu denken. CO2-neutrale Städte, digitale Lebens-Quartiere und smarte Wohnformen sind unser tägliches Labor.“, heißt es in der Selbstdarstellung des Investors. An diesen Worten wird man ihn und das Projekt im anstehenden Bebauungsplanverfahren messen müssen. Eine Fertigstellung wird frühestens ab 2026 erwartet.
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1. Preis: Mad arkitekter (Oslo) mit Mud (Bergen)
2. Preis: Partner & Partner Architekten mit lavaland und Treibhaus (beide Berlin)
Ein 3. Preis: be baumschlager eberle architekten mit Locodrom Landschaftsarchitekten (beide Berlin)
Ein 3. Preis: ZRS Architekten mit schönherr Landschaftsarchitekten (beide Berlin)
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