Wenn Kultur zur Marke wird, brauchen Museumsinstitutionen neue Dependencen – warum nicht in der Provinz? Das Centre Pompidou hat es 2010 mit dem Neubau von Shigeru Ban in Metz erfolgreich vorgemacht, jetzt zieht der Louvre hinterher. Feierte man diesen Herbst schon die schillernd-glänzende Erweiterung von Rudy Ricciotti in Paris, kann der Louvre nun Ende des Jahres mit einem weiteren Highlight überraschen: dem neuen Museumsgebäude von SANAA. Ab dem 12. Dezember wird die neue Louvre-Filiale im nordfranzösischen Lens täglich ihre Pforten für die Besucher öffnen, heute wurde der „kleine Louvre“ offziell eingeweiht.
SANAA, Louvre, Lens – das passt: Die Japaner haben in Essen neben der Zeche Zollverein mit dem Kubus für die Designschule im Ruhrgebiet aufgetrumpft, in Lausanne mit dem Rolex Learning Center für Furore gesorgt und in London mit dem temporären Pavillon neben der Serpentine Gallery zahlreiche Besucher in den Kensington-Garten angelockt. Nun werden sie die Tristesse der Industrie- und ehemaligen Bergarbeiterstadt Lens ein wenig verbannen und Kunst-Liebhaber aus aller Welt in die französische Provinz verleiten – 200 Kilometer von Paris entfernt.
Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa haben in Lens das gemacht, wofür sie bekannt sind: einen schlichten, bescheidenen Gebäudekomplex aus mehreren rechteckigen Kuben geschaffen, die sich durch einen weitläufigen Park aneinanderreihen und in der Landschaft auflösen. Understatement pur. Das Grundstück liegt insgesamt etwas höher als seine Umgebung – man hätte sich hier auch gut eine weithin sichtbare Symbolarchitektur vorstellen können. Die japanischen Architekten entwarfen – mit den für die Museumsgestaltung zuständigen Architekten Imrey Culbert (New York) und den Landschaftsplanern Mosbach Paysagistes (Paris) – eine flache, eingeschossige Pavillonstruktur aus fünf Gebäuden mit insgesamt 28.000 Quadratmeter Nutzfläche. Davon werden etwa 6.000 als Ausstellungsfläche genutzt, der Rest steht für Depots und Büros zur Verfügung. Der Neubau aus Glas und Aluminium ist eine gute Geste, die mit den ziegelroten Backsteinhäusern der ehemaligen Bergarbeiter und dem schräg gegenüberliegenden Fußballstadion unbefangen im Kontrast steht. Um die Gebäude in gewissem Maße mit der Umgebung verschmelzen zu lassen, wurden sie mit einer Hülle versehen, die entweder verglast oder mit poliertem und eloxiertem Aluminium bekleidet ist. Leicht verzerrte Reflexionen der Landschaft werden sichtbar, die sich wiederum je nach Wetter, Tageslicht und der Position des Betrachters verändern, manchmal auch zu einem schwimmenden Aquarell.
Inneneinrichtung und Museographie betreute der Jungdesigner Adrien Gardière. Auf 120 Metern Länge zieht sich der von Aluminiumwänden umgebene Raum in seichter Abwärtsbewegung nach unten. „Je weiter der Besucher voran schreitet, desto mehr kommt er in der Gegenwart an“, erklärt ein Ausstellungsleiter der Presse. „Es ging uns darum, eine transversale Sicht der Kunstgeschichte und der Menschheit zu bieten.“ Damit präsentiert der nordfranzösische Ableger die Werke aus dem Pariser Haupthaus nach einem völlig anderen Konzept. Während der Louvre seine Exponate nach Gemälden und Skulpturen sowie nach Zivilisationen trennt, bringt der Louvre-Lens alle Werke zusammen – diese Revolution in der Ausstellungsgestaltung zeigt die Exponate mit einem neuen Blick, in einem frischen Licht.
150 Millionen Euro hat das SANAA-Museum gekostet, das damit mehr als doppelt so kostspielig ist wie die Museumskathedrale in Metz (69 Millionen Euro). Dennoch eine wichtige Investition: Die gläserne Gemäldegalerie im Großraum Lille wird mit Sicherheit ein Besuchermagnet und somit Motor für weitere Kulturprojekte in Lens. Paris muss eben nicht mehr Nabel der Welt sein, zumindest Frankreichs Museumslandschaft soll im Rahmen einer Dezentralisierung auch in die einzelnen Regionen geöffnet werden. Bei der Ausschreibung um die Louvre-Dependance 2003 hatten auch sechs andere Städte, darunter Lyon und Montpellier, kandidiert. Louvre-Lens klingt eben auch besser.
Fotos: Hisao Suzuki und Iwan Baan/ Louvre Lens
Zum Thema:
www.louvrelens.fr
Das Centre Pompidou in Metz von Shigeru Ban
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Andrea Palladio | 17.12.2012 12:10 UhrKulturbauten
Die Leichtigkeit, mit der in Deutschland gegen Kulturbauten geschrieben wird, ist schon einigermassen atemberaubend. Selbstverständlich kann man das eine nicht gegen das andere aufrechnen, kein Museum in angeblich nicht-gebaute Schulen, keinen neuen Grossbahnhof gegen angeblich nicht-sanierte Kleinbahnhöfe aufrechnen. Wer dies taut, betreibt pseudo-Mathematik, welche an den Realitäten und Notwendigkeiten völlig vorbeigeht. Mit ebensolchem Recht könnte man z.B. sagen: wir erhöhen das Rentenalter auf 70, dafür können wir dann ein paar Altentagesstätten mehr bauen.