Das Fenster ist ein Fetisch der Moderne. Schluss mit den kleinen Öffnungen in den Wänden, hieß es damals. Bandfenster müssen her! Sie bringen Licht in die Räume, schaffen Verbindungen zum grünen Außenraum und machen deutlich: Hier trägt nicht mehr die Wand, hier arbeitet der Architekt mit den konstruktiven Möglichkeiten der Gegenwart.
Bereits 1923 war das Langfenster einer der
Fünf Punkte zu einer neuen Architektur, die
Le Corbusier proklamierte und dann 1928 an der Villa Savoye mustergültig durchexerzierte. Doch während sich Moderne und Traditionalisten bis heute über Fensterformate streiten, ging der Jahrhundertarchitekt Le Corbusier bald einen Schritt weiter. Er begann, mit den unterschiedlichsten Formaten, Materialien, Größen und Platzierungen zu experimentieren, um aufregende räumliche Erlebnisse zu schaffen. Das weiß nicht nur jeder halbwegs gut informiert Architekt, das zeigt nun auch der japanische Fotograf
Takashi Homma in einer konzeptionell und fotografisch sehr überzeugenden Publikation.
Looking Through Le Corbusier Windows – mit exakt diesem irritierenden Wortabstand im Titel – heißt sein Fotobuch, das das Window Research Institute in Tokio, das Canadian Centre for Architecture CCA in Montreal und Koenig Books in London gemeinsam herausgegeben haben. Lakonisch und sehr direkt umkreist der 1962 geborene Homma sein Sujet, ist manchmal wahnsinnig nah dran am Detail und blickt immer wieder nicht nur durch die Fenster hindurch, sondern auch aus der Distanz auf die Häuser zurück.
Man sieht unscharfe indische Soldaten, verdreckte Fassaden, zersprungenes Glas oder einen traurigen Blick hinab auf das nasskalte Stuttgart. Der
dirty realism des Japaners macht beinahe vergessen, dass Le Corbusier in vielen Fällen ein Fall für Denkmalpflege und UNESCO-Weltkulturerbe geworden ist. Vor allem aber gelingt es Homma mit seinen Fotos, eine sehr subjektive und direkte Präsenz zu erzeugen, aus der heraus die Architektur in ihrer Materialität, das Innere der Häuser und der Außenraum auf beeindruckende Weise erlebbar gemacht werden.
Die Ordnung der großformatigen Fotos ist chronologisch. Homma fängt mit einer noch recht harmlosen Doppelseite zu Amédée Ozenfants Atelier in Paris von 1922 an und arbeitet sich bis Chandigarh vor. 15 Bauten hat er ausgewählt. Le Corbusiers privatem Rückzug Cabanon in Roquebrune-Cap-Martin sind die meisten Seiten gewidmet, das Parlamentsgebäude schafft er mit einer Totalen. Abschließend gibt es noch einen kurzen Essay von
Tim Beton, der das Thema knapp und konzise darstellt. Ein großartiges Architekturfotobuch!
Text: Gregor Harbusch
Looking Through Le Corbusier Windows
Takashi Homma
192 Seiten
Englisch
Window Research Institute/
CCA/Koenig Books, Tokio/Montreal/London 2019
ISBN 978-3960987253
38 Euro
Der Essay von Tim Benton liegt dem Buch auch in einer französischen und japanischen Fassung bei.