Wer sich auch nur im Geringsten für gute Pflegearchitektur interessiert, der kommt um eine Reise ins belgische Zoersel, etwas nordöstlich von Antwerpen, nicht herum. Dort ist auf private Initiative seit 1973 der Campus Monnikenheide gewachsen mit seinem vielfältigen Angebot an dauerhaften oder temporären Unterkünften und Programmen für körperlich und geistig Beeinträchtigte.
Was mit einem ersten Gästehaus begann, ist heute ein vier Hektar großer Campus mit über 13 Häusern, knapp 200 Mitarbeitenden und 86 dauerhaften Bewohner*innen. Dazu kommen bis zu 200 Menschen, die Angebote der Tagespflege nutzen oder für einen befristeten Aufenthalt zu Gast sind. Zum 50. Geburtstag hat sich die Institution nun das Buch Living in Monnikenheide. Care, Inclusion and Architecture geschenkt, das gerade auch für Architekt*innen überaus empfehlenswert ist.
Gegründet wurde Monnikenheide von Wivina und Paul Demeester. Der Name mag manchem bekannt vorkommen. Wivina Demeester ging später in die Politik, wurde dort unter anderem Bauministerin in der flämischen Provinzregierung und war hauptverantwortlich für die Gründung des Vlaams Architectuurinstituut (VAi) und für die Schaffung der Position des Vlaamse Bouwmeester. Man könnte sie also auch als Mutter des flämischen Architektur-Booms bezeichnen.
Doch ein Blick noch weiter zurück lohnt: Ende der 1960er Jahre war Wivina Demeester noch keine Politikerin, sondern hatte einen Sohn mit Down-Syndrom bekommen. Die jungen Eltern suchten Pflegemöglichkeiten – und waren bestürzt über die schlechte Qualität der auch nur wenigen Angebote in Flandern. Sie beschlossen, den Sohn zuhause selbst zu begleiten und wandten sich an den Architekten Luc Van den Broeck. Zusammen mit diesem Freund der Familie durchdachten sie die räumlichen Erfordernisse für die häusliche Pflege.
Die innovative Suche nach neuen – eben auch architektonischen – Lösungen für eine würdevolle Pflege wurde zum Leitmotiv für den gesamten Campus, der schließlich aus dieser ersten eigenen Initiative wachsen sollte. Dabei arbeiteten die Demeesters mit immer anderen Architekt*innen zusammen, um Routinen zu vermeiden. So entstand über 50 Jahre hinweg ein Ort, der als Freilichtmuseum der Pflegearchitektur gelesen werden könnte – wenn er nicht gleichzeitig so äußerst lebendig und laut wäre.
Zu den beteiligten Architekt*innen gehören unter anderem 51N4E, Bob Van Reeth, Jo Peeters, Dirk Somers oder zuletzt die jungen Büros UR Architects und FELT Architecture & Design. Zum 50. Jahrestag von Monnikenheide hat man sich mit dem VAi und dem Fachjournalisten Gideon Boie zusammengetan, um die bisherige Geschichte, die Pflegephilosophie und die daraus hervorgegangenen Gebäude zu dokumentieren. Herausgekommen ist ein schlankes, silbrig glänzendes Buch, das trotz seines bescheidenen Umfangs von 160 Seiten nicht nur alle Gebäude mit Fotos, Grundrissen und Schnitten festhält, sondern auch in seinen Texten einen erstaunlichen Tiefgang entwickelt.
Boie schaut in seinem Text auf die Geschichte der Pflegearchitektur, Fredie Floré auf das Leben der Menschen auf dem Campus. Heleen Verheyden setzt sich kritisch mit dem Begriff des „inklusiven Designs“ auseinander und Sofie De Caigny, Leiterin des VAi, mit den Ansprüchen der Monnikenheide-Architektur. Darunter erörtert sie vor allem, warum sich diese so erfolgreich gegen die stereotypen Pflegearchitekturen der großen Einrichtungen widersetzt. Es ist ein wunderbar umfassendes Buch an dessen Ende man sich wünscht, alle Wohnarchitekturen – ob nun für Beeinträchtigte oder nicht – hätten diese hohen Ansprüche an sich selbst.
Text: Florian Heilmeyer
Living in Monnikenheide. Care, Inclusion and Architecture
Gideon Boie (Hg.)
Gestaltung: Ine Meganck und Isabel Motz
160 Seiten
Flanders Architecture Institute, Antwerpen 2023
ISBN 978-9492567314
39,50 Euro
Zum Thema:
Über den Campus Monnikenheide und die jüngsten Beispiele guter Pflegearchitektur in Flandern berichteten wir auch in Baunetzwoche#617 „Vorbild Flandern. Gute Häuser für die Pflege“ (PDF-Download).