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29.01.2025
Buchtipp: Romantische Sicherheit
Lawinenverbauung zwischen Technologie und Ästhetik
Erhabene Gipfel, blendendweißer Tiefschnee, klingelnde Kühe auf der Alm: So sehen die Alpen aus. Im 19. Jahrhundert geprägt, hält sich dieses Bild bis heute. Gerade so, als sei das Hochgebirge, jahrzehntelang als Zuflucht vor den Zumutungen der Moderne verstanden, auch vor den Herausforderungen der Gegenwart sicher. Während das Bild der unberührten Alpen aber einerseits mit den Ansprüchen des immer intensiveren Tourismus kollidiert, lassen sich auch die Auswirkungen des Klimawandels nicht länger ignorieren. Neben Überschwemmungen, Erdrutschen und ausbleibendem Schneefall wird auch das veränderte Lawinengeschehen in der Alpenregion mit der Erderwärmung in Verbindung gebracht.
Auf die Notwendigkeit, die Gäste in zunehmender Zahl durch Schutzwälle, Galerien, Stahlbrücken oder Netzen vor den herabstürzenden Schneemassen zu bewahren, folgt das Bestreben, diese infrastrukturelle Fürsorge auch in der Tourismuswerbung als Verkaufsargument geltend zu machen. Entsprechend beschreibt Doris Hallama in ihrem Buch Architektur alpiner Sicherheit eine Neujustierung des „Idealbildes der Alpenlandschaft, die eine Vereinbarung von Freiheit und Sicherheit“ zum Ziel hat.
Dem Thema wie den zahlreichen Bildern zum Trotz darf man kein sogenanntes Coffee Table Book erwarten. Auch bietet die wissenschaftliche Arbeit, die vorrangig die Situation in den Tiroler Alpen behandelt, weder eine technikhistorische Studie noch eine landschaftsökologische Untersuchung. Hallama nährt sich dem Lawinenschutz vielmehr im Zuge einer bildwissenschaftlichen Auseinandersetzung. Nach der Beschäftigung mit technischen Aufnahmen im ersten Teil des Buches befasst sich die Autorin im zweiten Teil mit ästhetischen Bildern. Diese klare Gliederung bedeutet allerdings nicht, dass Hallama die verschiedenen Formen der Visualisierungen unabhängig voneinander betrachtet. Die Stärke des Buches liegt vielmehr darin, dass sie einen Zusammenhang zwischen jenen Fotografien herstellt, die den Maßnahmen nachfolgen, und solchen, die den infrastrukturellen Eingriffen vorangehen.
Auch auf Luftaufnahmen beruhen etwa die sogenannten Gefahrenzonenpläne, die durch die Ausweisung lawinenbedrohter Areale nicht allein physische Gegebenheiten und prognostizierte Risiken abbilden. Stattdessen wirken sie auf das kartierte Gebiet zurück, indem sie die Grenzen der Siedlungsentwicklung bestimmen – oder die Grundlage für eine Veränderung der eingezeichneten Gefahrenbereiche durch Schutzmaßnahmen darstellen. Wird schon hier ein Zusammenhang zwischen Fotografie, Schutzplanung und Architektur erkennbar, zeigt er sich besonders deutlich im Fall der 350 Meter langen Lawinenschutzmauer, die die Ortschaft Galtür beschirmt: Im hangseitigen Teil des Bauwerks ist nebst Zivilschutzräume auch das Informationszentrum Alpinarium zu finden.
Weniger „eine Integration von Schutzbauwerk und Gebäudefunktionen denn eine Applikation der zivilen Nutzung auf das Mauerbauwerk“, steht die Struktur freilich im Kontrast zur traditionellen Architektur des Alpenraums. Als deren Beispiel zeigt Hallama die Davoser Frauenkirche aus dem frühesten 17. Jahrhundert, deren Hangseite durch einen „Lawinenspaltkeil“ bestimmt ist. Indem der Lawinenschutz mit der Zunahme des Fremdenverkehrs allerdings zur öffentlichen Unternehmung erklärt wurde, seien Sicherungsanlagen und Bauten voneinander entkoppelt worden, schreibt sie. So werden seit der Nachkriegszeit insbesondere Anbruchverbauungen eingesetzt, die die Entstehung von Lawinen schon in großen Höhen unterbinden sollen. Als Stahlschneebrücken oder Schneenetze oberhalb der Baumgrenze ausgeführt, mussten diese Anlagen allerdings auch zu größerer Sichtbarkeit gelangen. Einen Platz im ästhetischen Bild der Alpen haben sie trotzdem erst nach und nach gefunden.
Gemäß der Einschätzung, dass die Kommunikation der alpinen Sicherheitsstruktur vorrangig Angelegenheit staatlicher Akteure sei, eröffnet Hallama den zweiten Teil ihres Buches mit einer Untersuchung institutioneller Fotografien. Dem Ziel der „(gesellschaftlichen) Produktion von Sicherheit“ entsprechend, behandelt sie darin Aufnahmen, die sich vorrangig an Angehörige jener Institutionen richten, die mit den Schutzmaßnahmen betraut sind. Umso überraschender muten Baustellenaufnahmen von Lawinenschutzgalerien und wintersicheren Straßen an, mit denen österreichische Baufirmen bereits von den späten 1970er Jahren an in der Tourismuszeitschrift Tirol warben. Damit allerdings, so die Autorin, eröffnete sich den Unternehmen die Möglichkeit, jenes „Landschaftshandeln“ zu demonstrieren, das Voraussetzung einer touristischen Inanspruchnahme ist.
Als weiteren Schritt in Richtung einer komplexeren Darstellung der Alpenlandschaft, die die eingangs genannten Widersprüche nicht ausblendet, stellt Hallama das 2010 durch die Tirol-Werbung lancierte Projekt Sight-_Seeing vor. Auch am Beispiel von Michael Danners Aufnahmen einer Lawinenschutzgalerie merkt die Autorin an, dass die Grenzen zwischen werbe- und kunstfotografischen Aufnahmen zunehmend verschwimmen. Gleichwohl gelange die „Vielschichtigkeit alpiner Landschaftskonstruktion (inklusive technisierter Landschaften)“ noch immer vor allem in der Kunst zur Darstellung. Dabei bestimmt eine fotografisch artikulierte Kritik an der mitunter exzessiven Bewirtschaftung des Hochgebirges, wie sie ökologisch fundiert schon seit den 1970er Jahren geäußert wird, auch noch Werke jüngeren Datums. Indem die Fotografin Karin Schneider-Meyer für Die Vernagelung der Berge einen Bildausschnitt wählte, der die Vorarlberger Höferspitze vollständig mit Stahlschneebrücken besetzt zeigt, lässt sie von der Alpenromantik nicht mehr viel übrig.
Text: Achim Reese
Architektur alpiner Sicherheit: Lawinenverbauung zwischen Technologie und Ästhetik
Doris Hallama
Gestaltung: LVD Berlin
304 Seiten
Deutscher Kunstverlag, Berlin 2024
ISBN 978-3-422-80167-7
58 Euro
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![David Schreyer, Sölden, www.tirol.at (11.04.2020)](/img/3/1/5/0/2/3/4/ef1e7379baef5d24.jpeg)
David Schreyer, Sölden, www.tirol.at (11.04.2020)
![David Schreyer, Innsbruck, Nordkette, www.tirol.at (11.04.2020)](/img/3/1/5/0/2/3/4/e8b311c57476cedd.jpeg)
David Schreyer, Innsbruck, Nordkette, www.tirol.at (11.04.2020)
![Michael Danner, o. T., in: „Sight-_Seeing“, 2011](/img/3/1/5/0/2/3/4/f5e0916a9231f826.jpeg)
Michael Danner, o. T., in: „Sight-_Seeing“, 2011
![Buchcover](/img/3/1/5/0/2/3/4/17a0c9b997623048.jpeg)
Buchcover
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