Feuchter Beton, ein einsamer Besen am Hauseingang, Filzschuhe in der Ecke: Laura J. Padgetts Fotografien von Peter Zumthors Atelierhaus in Haldenstein zeigen nicht einfach nur ein Gebäude, sondern auch, wie es sich darin lebt – nicht zuletzt dank der Assoziationen, die ihre Bilder beim Betrachter hervorrufen. Veröffentlicht wurden sie in Zumthors berühmtem Essay-Band „Architektur denken“. Ihren Dialog mit der Architektur hat Padgett seither unter anderem mit Schneider+Schumacher und in Beirut fortgesetzt. In Kürze wird ihr der Marielies-Hess-Kunstpreis des Hessischen Rundfunks verliehen, aufgrund dessen in Frankfurt am Main demnächst ihre Ausstellung „Somehow Real“ zu sehen ist. Eine gute Gelegenheit für eine Würdigung ihrer Arbeit.
Von Stephan Becker
Architekturfotografie erfüllt meist einen klar definierten Zweck, denn primär geht es um die nüchterne Dokumentation eines eben fertiggestellten Objekts. Der Blick folgt bestimmten Konventionen, was damit beginnt, dass die Räume meist leer und unberührt zu sehen sind. Ebenso wird in der Regel ausgeblendet, was der Eindeutigkeit der Bildaussage stören könnte. Das Leben, das in solchen fotografischen Abstraktionen einmal stattfinden mag, wird nicht greifbar, ebenso wenig fehlt jeder Hinweis auf das Geschehen jenseits der Bildebene. Das ist nicht falsch, schließlich dient diese Reduktion dem Fokus auf die materielle Dimension des Gebauten. Nur fällt es vor dem Hintergrund besonders deutlich auf, wie anders Laura J. Padgetts Dialog mit der Architektur verläuft: Ihre Bilder zeigen nicht einfach nur, was ist, sondern was sein könnte – und zwar, in dem sie einen dazu verführen, anhand eigener Erfahrungen und Projektionen über das unmittelbar Gegebene hinauszudenken.
Zu Besuch in Haldenstein
Dass für einen solchen Ansatz ganz andere Bedingungen gelten als für die reguläre Architekturfotografie, versteht sich von selbst. Erst im Rahmen einer wochenlangen Auseinandersetzung entstehen Fotografien, die nicht einfach nur 1:1 die Architektur abbilden, sondern die einen vielschichtigen Vorstellungsraum eröffnen. In Haldenstein gehörten zum Beispiel auch das Gespräch mit Zumthor und die Beobachtung des Alltags im Atelier zum künstlerischen Prozess. Das Ergebnis sind Bilder, die die inneren Zusammenhänge der Architektur – ihr Wesen, wenn man so will – in einer Gleichzeitigkeit zeigen, die einen möglicherweise selbst bei einem eigenen Besuch vor Ort zunächst entgehen würde. Es ist schlicht Padgetts Wissen um die Gesamtheit der abgebildeten Architektur, das in jedem einzelnen ihrer Bilder erkennbar ist – auf eine Art und Weise allerdings, die sich nie aufdrängt, sondern die Raum lässt für eigene Erkundungen. Formal kommt dies nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass Padgett kaum je eine Zentralperspektive einnimmt, sondern oft die Zwischenräume und Anschlussstellen sucht – eine Technik, die dazu anregt, die Dinge in Beziehung zueinander zu setzen.
Visuelle Raumfragmente
Ein ähnliches Changieren zwischen unmittelbarer Anschaulichkeit – schließlich zeigen ihre Fotografien sehr konkrete Situationen und Details – und einem übergeordneten Zusammenhang, zeigt auch ihr jüngstes Projekt „Confined Space“, zu dem im letzten Jahr im Leipziger Verlag Bücher & Hefte eine Publikation erschienen ist. Anstatt um ein einzelnes Objekt geht es nun um eine ganze Stadt, denn über einen Zeitraum von vier Jahren ist Padgett mehrfach im Libanon gewesen und hat insbesondere in Beirut fotografiert. Das Resultat ist eine Bilderserie, die in engem Bezug zum konkreten Ort steht, die aber zugleich auch eine eigene Realität manifestiert. Dabei ist es wieder ihr Interesse für Nahtstellen und Übergänge, das ihrer Arbeit zugutekommt – sie beschwört bestimmte Szenen herauf, jedoch ohne allzu spezifisch zu werden oder den Blick zu sehr festzulegen. Insgesamt zeichnet es Padgetts Arbeit aus, dass sie über die Fähigkeit verfügt, in einem so genauen Medium wie der Fotografie für Offenheit zu sorgen. Ihre Bilder gleichen visuellen Partikeln, an denen die eigene räumliche Erfahrungswelt kondensieren kann, was – analog zur Physik der Aerosole – ein höchst individuelles, heterogenes Bedeutungsgemisch ergibt.
Utopie und Status Quo
Das Prinzip, vielschichtige Bedeutungszusammenhänge zuzulassen, kulminiert in einer Serie von Diptychen, von denen in der Ausstellung in Frankfurt neben den Zumthor- und Beirut-Serien einige zu sehen sein werden. Bei „Test Screen All White“ setzt Padgett die modernistisch-utopische Architektur von Martin van Treks Pariser Wohnbauten in Bezug zu einem historischen Innenraum. Dieser wird von einem temporär installierten, riesigen Screen dominiert, der den Raum als zeitgenössischen Ort der Wissens- und Machtproduktion zu erkennen gibt. Ist es dieses Zusammentreffen von gescheitertem Aufbruch und hegemonialem Status Quo, das Padgett an der Gegenüberstellung interessiert? Eine gesellschaftliche Dimension lässt sich zudem in der seltsamen Umkehrung von öffentlich und privat erkennen, aber auch eine rein formale Analogie wäre vorstellbar, was wiederum für weitere Assoziationen und Ambivalenzen sorgt. Die vordergründige Zugänglichkeit von Padgetts Bildern, die nicht zuletzt auch in ihrer ästhetischen und atmosphärischen Qualität zum Ausdruck kommt, machen es dabei leicht, sich mit offenem Ausgang auf die Suche zu begeben.
Laura J. Padgett „Somehow Real“
Eröffnung: Dienstag, 25. Juli 2017, 18 Uhr
Ausstellung: Bis 27. August 2017, Di-Do 12-19 Uhr, Fr-So 10-18 Uhr
Ort: Museum Giersch, Schaumainkai 83, 60596 Frankfurt am Main
www.museum-giersch.de
Zum Thema:
Über Laura J. Padgetts Auseinandersetzung mit der Städel-Erweiterung von schneider + schumacher demnächst mehr im Interview.
www.lpadgett.net