Mit ihrem Buch „Raum über Zeit“ dokumentierte Laura J. Padgett die Frankfurter Städel-Erweiterung von Schneider + Schumacher. Was hat die Fotografin und Künstlerin an der Baustelle fasziniert, und was konnte sie hier mit Blick auf ihre anderen architekturbezogenen Projekte lernen? Ein Gespräch anlässlich der Verleihung des Marielies-Hess-Kunstpreises des Hessischen Rundfunks, den Padgett im Juli erhielt: Über die Sinnlichkeit des Betons, die Schönheit des Unfertigen und das Verhältnis von atmosphärischer Beobachtung und technischem Detailwissen. Bis Ende August läuft im Frankfurter Museum Giersch außerdem noch ihre Ausstellung „Somehow Real“.
Von Stephan Becker
Frau Padgett, was gefällt Ihnen rückblickend besser, die Baustelle oder das Endergebnis? Das ist eine verfängliche Frage. Für mich als Künstlerin ist der fertige Bau als Untersuchungsobjekt abgeschlossen. Die Entstehungsphase hat mich gefesselt. Auf der Baustelle war es so gut wie jeden Tag anders, und es gab immer wieder neue Zusammenhänge und Konstellationen. Das Alltägliche und Beiläufige spielte dabei eine wichtige Rolle, zum Beispiel, wie die Bauarbeiter sich auf dieser komplexen Baustelle organisiert haben. Die Baustelle war auch viel größer als das Endergebnis, weil der Altbau mitrenoviert wurde und ein wesentlicher Teil des Projekts war. Als Architektur ist die Gartenhalle eine Einheit geworden und hat ihren Platz in der Museumsbaugeschichte gefunden.
Vor ihrem Städel-Projekt haben Sie sich primär mit „fertiger“ Architektur beschäftigt. Was hat Sie am Bauvorgang interessiert? Fertige Architektur, ja, aber immer mit Bezug zur Veränderung, zu unserem Verständnis von Zeit oder Geschichte. Ich mag es gerne, situativ zu fotografieren. Ich mag Orte, die eine Geschichte erzählen. Vor einigen Jahren habe ich das Sir John Soane’s Museum in London fotografiert. Es ist ein Museum, das eine Haltung verkörpert, das einen Zeitgeist und ich glaube sogar, Soanes Geist beherbergt.
Langzeitbeobachtungen von Orten, die auch in ihrer Architektur eine Geschichte verkörpern, sind daher für mich reizvoll. Bei den Fotografien für Peter Zumthors Architektur Denken war es der Versuch, das Leben eines Wohn- und Arbeitsortes vor dem Hintergrund der Essays von Peter Zumthor in den Fotografien zum Ausdruck zu bringen. Man spürt den Wind durch die offene Tür im Arbeitsraum, man fühlt die Feuchtigkeit, die der Beton durch den Regen aufnimmt, man hört die Stimmen in der Küche, in der gekocht wird. Hinzu kommt meine eingehende Beschäftigung mit Peter Zumthors spezifischem Bezug zum Handwerk und zum Material, den ich in meinen Fotografien spürbar machen wollte: die Wärme des Holzes, der Duft des Leders, die Leichtigkeit der Seide. Bei meiner Serie über die Bruno-Taut-Siedlungen in Berlin für die Zeitschrift ARCH+ habe ich sowohl auf Tauts Entwürfe, Zeichnungen und Aquarelle als auch auf den heutigen Alltag in den Siedlungen Bezug genommen. Ich kombiniere also in meinen Fotografien die historische Dimension mit dem gegenwärtigen Zustand der Orte.
Wie kamen Sie zu Ihrem Projekt über die Städel-Erweiterung? Im Sinne der Beziehung von Vergangenheit und Gegenwart ist das Städel für mich ebenfalls ein ganz besonderer Ort. Ich wohne ganz in der Nähe und kenne das Haus seit Anfang der Achtzigerjahre. In der Anfangsphase des Umbaus durch Schneider + Schumacher ging ich im Winter am Gelände vorbei. Das schlammige, dunkle Loch, das sich dort anstelle des Städel-Gartens öffnete, zog mich magisch an. Diese schwarze Grube, zum Teil mit Grundwasser gefüllt, war abstoßend und faszinierend zugleich. Ich dachte, ich würde gerne verfolgen, wie dieser unterirdische Bau entsteht. Was für mich bei dem Projekt zusätzlich wichtig gewesen ist, war die Entwicklung des Neubaus im Zusammenhang mit den Veränderungen am Altbau.
Konnten Sie sich vor Ort frei bewegen? Und haben Sie sich im Detail mit dem Baufortschritt beschäftigt? Ich hatte bei dem Projekt sehr viel Glück. Schneider + Schumacher standen dem Projekt offen gegenüber. Das Städel Museum mit Max Hollein als Bauherr war aufgeschlossen und hat mir einen offiziellen Auftrag erteilt, damit ich freien Zugang zur Baustelle bekam. Ich musste den Bauvorschriften folgen und habe Helm, Warnweste und Arbeitsstiefel getragen. Ich habe mich auch stets bei der Bauleitung angemeldet, wenn ich vor Ort war. Einige, wenn nicht alle Architekten aus der Bauleitung fanden mein Projekt spannend und informierten mich, wenn besondere Schritte durchgeführt wurden – zum Beispiel bei der Aufstellung der Gussformen für das Dach, wenn Beton gegossen wurde oder man spezielle Installationen vornahm.
Am faszinierendsten war dabei wohl das gewölbte Dach und die vielen Stadien seiner Herstellung. Das Dach ist das Gebäude, könnte man sagen, da es keine Außenwände gibt.
Im Anhang des Buches beschreiben Sie detailliert, was auf jedem Bild passiert. Warum war Ihnen das wichtig? Die Genauigkeit des Anhangs habe ich dem Bauleiter und Architekten Hans Eschmann zu verdanken. Anhand des Buchlayouts hat er sämtliche Fotografien angeschaut und daraufhin die Beschreibungen verfasst. Das hätte ich alleine nicht geschafft. Da die Fotografien eher atmosphärisch sind, wollte ich die sachliche Beschreibung als Gegenpol und Anker für die Bilder setzen.
Ihre Serie zeigt einen Prozess der Verfeinerung, von groben Strukturen und fast schon brutalen Interventionen bis hin zur perfekten Oberfläche – umgekehrte Entropie sozusagen. Umgekehrte Entropie trifft es ganz gut, ja. Es gab jedoch Zwischenstadien, bei denen ich persönlich sagen muss, dass es schade ist, dass sie nicht so bleiben konnten. Die reine Betondecke im geschliffenen Zustand war wunderschön. Eine Fotografie dieses Zustandes wurde der Buchumschlag. Das feine Gewölbe des Daches konnte man am besten in der leeren Halle sehen. Für das Museum mussten zwangsläufig Wände her und das Dach musste gestrichen werden. Allerdings war die Atmosphäre in der Halle in diesen Zwischenstadien wunderbar. Umgekehrte Entropie, ja, aber ich finde es gab aus fotografischer Sicht auch Verluste in gegenläufiger Richtung.
Hat das Projekt auch ganz allgemein Ihren Blick auf die Architektur verändert? Natürlich, denn nach dem Projekt habe ich gesehen, dass viele der Prozesse, die ich beim Städel-Bau beobachtet habe, sich auf anderen Baustellen wiederholen. Ich kam mit einem erfahrenen, jedoch unschuldigen Blick auf die Baustelle. Ich glaube, wenn ich die ganzen Bauprozesse bei dem Projekt schon als normal verstanden hätte, wären die Fotografien nicht so schlüssig wie sie sind. Also für jemanden, der gern viel weiß, bevor er zu fotografieren beginnt, war es in diesem Fall sehr gut, dass ich ein paar Wissenslücken hatte.
Laura J. Padgett „Somehow Real“
Ausstellung: Bis 27. August 2017, Di-Do 12-19 Uhr, Fr-So 10-18 Uhr
Ort: Museum Giersch, Schaumainkai 83, 60596 Frankfurt am Main
www.museum-giersch.de
Zum Thema:
Mehr über Laura J. Padgetts Fotografie: Räume jenseits der Oberfläche und www.lpadgett.net
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auch ein | 15.08.2017 13:46 Uhrarchitekt
schön gemacht und gute idee.
und gut dass nur die "sauberen" baustellenlager fotografiert sind.
für bauherren ein alptraum wenn sie sehen was alles passieren kann und was es für ein dreck ist ;-)