Von Linda Kuhn
Der Deutsche Pavillon wurde besetzt: Dunkel gekleidete, junge Menschen stehen auf dem Monumentalbau, die Fäuste geballt. Die Frankfurter Künstlerin Anne Imhof und die Kuratorin Susanne Pfeffer haben in diesem Jahr einen der eindrücklichsten Länderbeiträge der Biennale geschaffen und wurden damit völlig zu Recht mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Die Architektur ist dabei ein wesentliches Element der Inszenierung, und das liegt auch an den Umbauten, die Imhof und Pfeffer vorgenommen haben. Der Pavillon hat sich im Kontrast zur letztjährigen Offenheit in eine Sicherheitsarchitektur verwandelt, verbarrikadiert mit Hundezwingern, Glaswänden und Rolltoren. Doch die Performer erobern den Raum, unter und über dem Glas, auf den Zäunen und Balustraden.
Mit „Faust“ gewinnt eine komplexe Arbeit den Löwen, deren Tiefe sich bei aller Coolness erst jenseits der schnellen medialen Bilder erschließt. In der Begründung der Jury heißt es, Anne Imhof zeige eine aufwühlende Arbeit, in der sie die wichtigen Fragen unserer Zeit verhandelt. Besonders betont wird die Wirkung auf die Besucher, auch die präzisen Entscheidungen über Objekte, Bilder, Körper und Sound werden gelobt. Die gläserne Raumstruktur erlaubt dabei eine vielschichtige Organisation der Aufführung, die in den ersten Tagen bis zu fünf Stunden dauert. Gesten, Blicke, Gesang und Fäuste lassen eindrucksvolle Bilder entstehen, die fast schon hysterisch von den Besuchern festgehalten werden. Hier spiegeln sich die Bewegungen der „kapitalisierten Körper“ nicht nur im Glas, sondern durchdringen auch die Screens der Handys und werden im Netz konsumierbar. Bei aller Gegenwartskritik, Anne Imhof selbst sagt in ihrer durchaus politischen Dankesrede, es gehe in ihrer Arbeit vor allem auch um Freiheit und darum, „to know when to raise our fists“!
Brasilien: Rebellion auf schräger Ebene
Der Brasilianische Pavillon erhielt eine lobende Erwähnung für die Ausstellung „Chão de caça“ der Künstlerin Cinthia Marcelle. Auch sie reagiert – ähnlich wie Anne Imhof – mit einer eigenen Raumstruktur auf die Architektur, in dem sie eine schräge Ebene aus Stahlgittern einzieht. In die Gitter, die üblicherweise bei Belüftungsschächten verbaut werden, sind weiße Steine gedrückt. Außerdem zeigt sie Skulpturen und Malerei und ein Video, das in Zusammenarbeit mit Tiago Mata Machado entstand.
Das Video, das elegant auf einem großen, in Malervlies gehüllten Monitor gezeigt wird, besteht aus einer einzigen kraftvollen Einstellung: Man sieht Menschen in theatraler Haltung auf einem Dach und muss abermals an den Deutschen Pavillon denken. Statt Schwarz ist die vorherrschende Farbe hier allerdings Rot und die Gesichter sind verhüllt. Doch obwohl der Inhalt ziemlich abstrakt bleibt, entsteht auch hier eine starke Geste des Widerstands. Der Kurator Jochen Volz betont, dass Marcelle mit diesen Andeutungen bewusst spielt und Themen wie Rebellion und Instabilität in Brasilien reflektiert. Die Installation mit der schrägen Ebene überträgt dieses Gefühl auf die Besucher, was angesichts des Aufwands, der anderswo betrieben wird, auch in seiner schlanken Präzision überzeugt.
Zu Gast im „Studio Venezia“
Einen beeindruckenden Raum hat auch der französische Künstler Xavier Veilhan als Beitrag seines Landes geschaffen. Er eröffnet im ebenfalls recht monumentalen Pavillon sein „Studio Venezia“: Ein anarchisches, Merzbau-haftes Interieur, das von expressionistischen Ikonen der Zwanzigerjahre-Architektur inspiriert ist. Die Struktur hat hier allerdings einen konkreten Zweck, denn der Name ist Programm: Der Pavillon wird Musikern aus Venedig und anderswo während der gesamten Laufzeit der Biennale als Aufnahmestudio und Konzertsaal dienen. Auch von Veilhan entworfene Instrumente, die zwischen witzig charmant und seriös imposant changieren, stehen bereit. Der Beitrag überzeugt in seiner konzeptionellen Leichtigkeit – hier kann der Besucher an einem kreativen Moment partizipieren, dem wohltuend das Gestenhafte vieler anderer Pavillons fehlt. Gefeiert wird aber auch die Funktionalität und Schönheit von Holz – das Licht im Zusammenspiel mit der Fülle an Formen ist nicht zuletzt Musik für die Augen.
Follies, Fontänen und ein Highlight am Ende
Und sonst in Venedig? Viel zu sehen, doch wenig, was wirklich hängen bleibt. Die Ausnahmen: Der Spanische Pavillon reagiert auf die endlos wuchernde Ferienarchitektur des Landes mit einem neuen Nomadentum, Griechenland baut den Besuchern ein Hochglanzlabyrinth, Georgien lässt es in einer Holzhütte regnen und Kanada setzt in seinen halbruinösen Pavillon eine gigantische Fontäne. Das macht Spaß, ebenso wie die wuchernde Folly-Architektur im Britischen Pavillon und das gleichfalls als Ruine inszenierte dänische Gebäude, dessen „Theater“ man aber tunlichst meiden sollte. Ruinös wird es außerdem bei den Israelis, die ihren Bau im Rahmen einer Raumanalyse verschimmeln lassen. Vergnügen bereiten außerdem die seltsamen trollartigen Wesen, die sich bei den Finnen auch mit Alvar Aalto beschäftigen und im Isländischen Pavillon sogar selbst zu Architektur werden. Eine indirekte Auseinandersetzung mit der Geschichte des Pavillons wagt hingegen die Schweiz, die mit „Women of Venice“ eine Arbeit von Alberto Giacometti, dem Bruder das Pavillon-Architekten Bruno, zum Ausgangspunkt nimmt.
Schimmelkunst gibt es wiederum auch im Italienischen Pavillon, doch dort ist sie nur eine Ablenkung auf dem Weg zu einem der absoluten Highlights der diesjährigen Kunstbiennale: In einem fast dunklen Raum platziert Giorgio Andreotta Calò auf Baugerüsten eine fast schwarze Wasserfläche, in der sich das Dach des alten Gebäudes spiegelt. Dadurch entsteht ein Illusionsraum, der schlicht ein Erlebnis ist – nicht zuletzt im Kontext einer Biennale, die nur selten unmittelbare sinnliche Reize entfaltet.
Zum Thema:
Mehr zur Kunstbiennale und zur Hauptausstellun Viva Arte Viva:
„Der Wille Zur Form“
Biennale d'Arte di VeneziaVom 13. Mai bis zum 26. November 2017
www.labiennale.org