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21.10.2024

Neuordnung am Kulturpalast

Kunstmuseum in Warschau von Thomas Phifer and Partners


Am Freitag eröffnet das neue Museum für zeitgenössische Kunst Muzeum Sztuki Nowoczesnej in Warschau. Genau zwanzig Jahre musste die 2004 gegründete Institution auf ein eigenes Haus warten. Der Entwurf stammt von Thomas Phifer and Partners. Vor Ort wird schnell klar, dass dieses Museum mehr leisten soll, als einfach nur Kunst auszustellen.

Von Florian Heilmeyer

Mit dem Neubau von Thomas Phifer and Partners (New York) geht für das Museum für zeitgenössische Kunst in Warschau – das Muzeum Sztuki Nowoczesnej MSN – eine Odyssee zu Ende. 2004 war die Institution von der polnischen Regierung mit dem Ziel gegründet worden, einen Museumsneubau im Zentrum der polnischen Hauptstadt zu errichten – und zwar direkt neben dem gigantischen stalinistischen Kulturpalast von 1955.

Zwanzig Jahre lang hatte das Museum allerdings kein dauerhaftes Zuhause. Erst saß es einige Jahre im wunderschönen, ehemaligen Möbelhaus Emilia am Nordwestrand des großen Platzes um den Kulturpalast. Emilia wurde allerdings von den privaten Besitzern 2016 abgerissen, um ein deutlich lukrativeres Hochhaus zu errichten. Deshalb besorgten die Verantwortlichen für das Museum die ehemalige temporäre Kunsthalle aus Berlin von Adolf Krischanitz. Sie fand am Weichselufer einen neuen Standort und wurde für sieben Jahre zur Basis des MSN. Dieses entwickelte sich an der Uferpromenade sukzessive zu einem Publikumsmagneten – während sich der Neubau immer weiter verzögerte.

Drei Wettbewerbe, zwei Häuser

Insgesamt drei Wettbewerbe wurden für das MSN durchgeführt. Ein erster war noch in der Ausschreibung abgebrochen worden, da er gegen die europäische Vergabeordnung verstieß; Polen ist seit 2004 EU-Mitglied. Ein zweiter Wettbewerb endete 2007 mit dem Sieg des Zürcher Architekten Christian Kerez. Die Umsetzung scheiterte hauptsächlich an ungeklärten Eigentumsverhältnissen der damals enteigneten Grundstücke rund um den Kulturpalast. 2012 wurde das Projekt offiziell eingestellt und ein dritter Wettbewerb vorbereitet. In diesem ging es nun um ein deutlich kleineres Museum. Dafür sollte direkt neben dem MSN ein Haus für das Teatr Rozmaitości und der Platz zwischen den beiden Neubauten mitgeplant werden. Diesen Wettbewerb gewann 2014 ein Entwurf von Thomas Phifer and Partners. Am Freitag, 25. Oktober 2024 wird das Museum nun endlich feierlich eröffnet.

Tatsächlich ist das Gebäude gerade erst fertig geworden. Beim Besuch Ende September hingen Kabel aus den Wänden, die raumhohen Aluminiumtore wurden noch montiert, und ringsum standen Bauzäune. Die Dauerausstellungen werden bis Februar 2025 eingerichtet. Vom Theater nebenan ist nur die Baugrube zu sehen. Noch fehlt es an Geldern. Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski scherzte bei der Pressekonferenz, dass man bislang genügend Mittel habe, um das Erdgeschoss zu bauen. Gleichzeitig vermitteln alle Beteiligte ungebrochenen Optimismus, dass der Neubau für das Teatr Rozmaitości bis 2026 fertiggestellt sein wird.

Phifers schlichtes Haus

Im Vergleich zu Kerez’ Entwurf ist Phifers Projekt das deutlich schlichtere Haus, was vielleicht auch aus der Vorgeschichte des Projektes erklärbar ist. Denn keinesfalls durfte der dritte Wettbewerb scheitern. So zeigt sich das MSN jetzt als ein schweres, rechteckiges Volumen von 100 Metern Länge, 40 Metern Breite und 26 Metern Höhe. An der Nordwestecke steht, etwas abgerückt, ein vollständig geschlossener, weißer Turm über quadratischem Grundriss, ebenfalls 26 Meter hoch.

Alle Fassaden des MSN sind aus weißem Sichtbeton, in den Fenster von sehr unterschiedlicher Größe eingeschnitten wurden – das größte misst 5 auf 19 Meter und bietet an der Westfassade einen Panoramablick auf den Kulturpalast. Etwa auf halber Höhe des Hauses gibt es einen horizontalen, ein Meter hohen Einschnitt, in dem Oberlichter für einige Ausstellungsräume sowie Fenster für Büroräume liegen. 

Die Rundgänge auf den drei Stockwerken sind vielfältig. Räume von sehr unterschiedlichen Proportionen und Lichtverhältnissen wechseln sich in rascher Folge ab. Die lichte Raumhöhe beträgt im Erdgeschoss 5 Meter, im ersten Stock 7,5 und im obersten Stockwerk unter einer durchgehenden Tageslichtdecke 6,2 Meter. Phifer spricht von einer „Vitrine des Lichts“, in der die wechselnden Wetterbedingungen Warschaus zwar gefiltert, aber doch Teil des Ausstellungserlebnisses sein werden.

Zudem bieten die riesigen Panoramafenster auf jeder Etage immer wieder Momente der Entspannung, in denen sich die Besucher*innen mit Blick auf die Stadt vom Kunstparkour erholen sollen. Insgesamt gibt es 4.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche im Haus. Unter dem Turm neben dem Museum geht es hinab in ein Kino.

Mehr als Kunst zeigen

Vor Ort wird klar: Der Hauptauftrag dieses Gebäudes ist es, die Räume rings um den Kulturpalast, um den seit 70 Jahren gestritten wird, mit neuen öffentlichen Nutzungen zu bespielen. Dabei soll das Museum auch eine Verbindung schaffen zwischen dem Kulturpalast im Westen und der nach Osten anschließenden Stadt, wo die Kaufhäuser und Wohnhochhäuser der sogenannten „Ostwand“ von 1968 stehen.

Das schlichte weiße Volumen des Museums orientiert sich deutlich an den Proportionen der Kaufhäuser auf der anderen Straßenseite und bildet mit diesen nun erstmals einen wahrnehmbaren Straßenraum für die breite, dicht befahrene Marszałkowska-Straße. Demgegenüber werden MSN und Teatr Rozmaitości zum Kulturpalast hin einen Platz bilden, dessen Wirkung allerdings angesichts der aktuellen Baumaßnahmen noch schwer einschätzbar ist – zudem die Bebauung an der Südseite dieses entstehenden Platzes noch völlig ungeklärt ist.

In wenigen Jahren könnte hier ein lebendiger, öffentlicher und vom Autoverkehr freier Platz werden. Das Erdgeschoss des MSN ist genau daraufhin ausgelegt: Unter einer tief hängenden Betonschürze ist das gesamte Erdgeschoss ringsum verglast und nach allen Seiten offen. Eintritt wird für diese Flächen nicht verlangt. Mit Veranstaltungen und kurzzeitigen Sonderausstellungen möchte das Museum hier auf aktuelle gesellschaftliche Diskussionen reagieren und dabei auch Menschen ansprechen, die sonst keine Museen besuchen, dieses aber gerne als kleine überdachte Abkürzung zum Kulturpalast nutzen. Eintritt wird erst verlangt, wenn man über das spektakuläre Treppenhaus im Zentrum des Hauses nach oben zu den Ausstellungen geht.

Es ist gut möglich, dass dieses schlichte, robuste, weiße Haus – wenn es seinen vollen Betrieb aufgenommen hat – ein echter Magnet und Motor wird, der es schafft, die schwierigen Leerräume nahe des Kulturpalastes zu aktivieren, um deren Gestaltung in Warschau so lange gerungen wurde. (fh)

Fotos: Marta Ejsmont

Transparenzhinweis: Die Recherche des Autors in Warschau wurde durch die österreichische ERSTE Stiftung ermöglicht. Die von ihr mitbegründete Kontakt Sammlung kooperiert langfristig mit dem MSN und ist Partnerin der anstehenden Eröffnung.

Weitere Aufnahmen und Planmaterial liegen noch nicht vor und werden in Kürze ergänzt.



Zum Thema:

Das MSN markiert den Höhe- und vielleicht auch Endpunkt eines Booms an Kulturbauten, die in Polen seit dem EU-Beitritt vor zwanzig Jahren entstanden. In unserer aktuellen Baunetzwoche#565 „Polens neue Kulturbauten“ geht Florian Heilmeyer diesem Phänomen nach. Dabei zeigt er auch, welche wichtige Rolle Museen für die nationalistische Partei PiS während ihrer achtjährigen Regierungszeit spielten.


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