Einer der kulturpolitischen Beiträge zum Stadtumbauprojekt Deinze 2020 ist die Errichtung des Kulturzentrums Leietheater, angelegt für ein breites Programm aus Theater, Musik, Film und anderen zeitgenössischen darstellenden Künsten. Um dem Anspruch der kulturellen Vielfalt auch baukulturell zu entsprechen, wurde ein Open Oproep durchgeführt, ein spezielles Wettbewerbsverfahren des Vlaams Bouwmeester. Von den dabei eingeladenen fünf Teilnehmern konnte sich das junge Team aus Trans Architectuur (Ghent) und V+ (Brüssel) mit einem Beitrag behaupten, der bei anderen Wettbewerben aller Wahrscheinlichkeit nach schon in der ersten Runde ausgeschieden wäre, schlug er doch vor, das Gebäude an einem alternativen Bauplatz zu errichten. Doch dank der speziellen Diskussionskultur des Verfahrens ließ sich die Jury überzeugen.
Durch seinen Schritt auf die gegenüberliegende Straßenseite übernimmt der Bau nun eine Schlüsselrolle in der Neuordnung des öffentlichen Raums, die in gewisser Weise den eigentlichen Gegenstand des beim Open Oproep eingereichten Beitrags darstellte. Dieser sah vor, den ursprünglichen Bauplatz, einen Parkplatz nördlich der Brielstraat, zum Teil einer bereits bestehenden Parkanlage umzugestalten, die sich bis an die Leie erstreckt. Durch die Neuplatzierung des Kulturzentrums ist der nun erweiterte Park lose von öffentlichen Gebäuden eingefasst, allen voran das Dienstencentrum Leiespiegel, ein Verwaltungsbau von Tony Fretton, und das Museum van Deinze en de Leiestreek. Letzteres – ein Museumsbau aus den 1980ern, der bisher eher verloren in der grünen Wiese stand – erfährt durch den Neubau eine besondere, nahezu geschwisterliche Anbindung. Zudem besteht von der jetzigen Position des Leietheaters eine direkte Sichtbeziehung zum Hauptplatz des nahen Stadtzentrums, wobei die Hochpunkte des Turms der dort situierten Pfarrkirche und des neuen Bühnenturms miteinander korrespondieren.
Das Gebäude selbst besteht aus funktionell wie charakteristisch gestapelten, einfachen Gebäudevolumen. Aus der Oberseite eines zweigeschossigen Gebäudesockels mit quadratischer Grundform tritt neben dem genannten Bühnenturm auch der etwa 450 Personen fassende Aufführungssaal von außen sichtbar hervor. Das Raumprogramm ist um ein zentrales Foyer angeordnet, in dem sich der Aufführungssaal ebenso abzeichnet, diesmal durch seinen ansteigenden Publikumsbereich. Die Konfiguration eines Multifunktionssaals ist durch verschiebbare Wandelemente gegenüber dem Foyer variabel, ein von Spielzeiten unabhängiges Theatercafé ist selbstverständlich an der dem Stadtzentrum zugewandten Seite an der Brielstraat platziert.
Im Foyer bilden monumentale Elemente wie ein Oberlicht, eine betonierte freistehende Treppe, die auf einen schräg durch den Raum verlaufenden Verbindungsgang führt, sowie die Schräge des sich abzeichnenden Aufführungssaals einen architektonischen Auftakt zu jeder Vorstellung. Es dominiert roher Sichtbeton und in ihm seine Schalung aus schmalen, vertikalen Brettern, die jede Rundung im Treppenlauf problemlos mitmacht. So brutalistisch das Innere anmutet, so subtil wirkt die äußere Hülle des Baukörpers aus mattweiß lackierten Ziegelsteinen: Hier entstehen witterungsabhängig Muster aus verschiedenen Farbtönen und den Schatten einzeln hervortretender Steine. Im Erdgeschoss wechseln Verkleidungen aus mattem Aluminium, in denen Spiegelungen des Straßenverkehrs verschwimmen, mit raumhohen Verglasungen, die die Schwelle zum Park durchlässig werden lassen. (hn)
Fotos: Stijn Bollaert
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Mehr über die Relevanz des Vlaams Bouwmeester und das Instrument des Open Oproep für den Erfolg der belgischen Architektur in den letzten 20 Jahren verrät die aktuelle BAUNETZWOCHE#557 „Das Wunder von Flandern“.
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