Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg sollte die Kleinstadt Saint-Dié-des-Vosges ursprünglich nach Plänen von Le Corbusier wiederaufgebaut werden. Es kam anders und vom Schaffen des Architekten zeugt heute lediglich eine ehemalige Strumpfwarenfabrik, die Usine Claude-et-Duval. Eine zusätzliche gestalterische Prise à la Corbusier ist dafür aber seit Kurzem im Kulturzentrum La Boussole, wenige Gehminuten von der Usine entfernt zu entdecken. Hier haben Dominique Coulon & Associés (Straßburg) ein denkmalgeschütztes Ensemble transformiert, dessen Atrium wie eine Hommage an die Corbusier’sche Fabrik wirkt. Saint-Dié-des-Vosges liegt rund eine Autostunde nordwestlich von Colmar.
In dem umgebauten Komplex, der ebenfalls aus der Zeit des Wiederaufbaus der Stadt stammt, waren zuvor eine Polizeistation, das Gericht und die Handelskammer untergebracht. Die Architekt*innen entwickelten aus den ehemals unabhängigen Gebäudeteilen ein kohärentes Ganzes. Herzstück von La Boussole – was auf Deutsch „Der Kompass“ bedeutet – ist das zentrale, sieben Meter hohe Atrium mit einer Grundfläche von 300 Quadratmetern, das an der Stelle des ehemaligen Innenhofes eingefügt wurde. Das Haus wurde komplett entkernt, alte Elemente sind aber hier und da noch zu erkennen.
Für die Deckenkonstruktion wählten die Architekt*innen ein Raster aus Betonscheiben, das von einem teilweise in kräftigem Rot und Gelb getönten Glasdach überspannt wird. Das einfallende Licht erzeugt ein Spiel aus Farben und geometrischen Formen. Zusätzlich betont wird der Effekt durch die spiegelnde Oberfläche eines in den Raum hineinragenden Volumens und weitere Elemente in leuchtendem Rot, etwa eine breite, tribünenartige Treppe, die in den Raum führt. Dominique Coulon & Associés sind zwar durchaus für ihre reduzierten, oft in Beton gestalteten Projekte bekannt. Die Parallelen zur Deckengestaltung der von Le Corbusier entworfenen Strumpfwarenfabrik sind jedoch – obwohl nicht explizit formuliert – kaum von der Hand zu weisen.
An das neue Atrium grenzen die im Bestandsbau untergebrachten Arbeits- und Ruheräume. Zur Straße hin schließt das Ensemble mit einem Ausstellungsraum ab. Außerdem wurden in dem 4.800 Quadratmeter großen Haus eine Touristeninformation, ein Café, ein Auditorium mit 100 Plätzen, eine (Digital-)Werkstatt, eine Mediathek sowie die Büros der Kulturabteilung der Stadt untergebracht. Die öffentlichen Räume befinden sich im Erd- und ersten Obergeschoss, die Büros im zweiten Stock. Zu den markanten Rot- und Gelbtönen im Atrium gesellt sich noch ein kräftiges Blau in den Räumen der Mediathek. Unter dem ehemaligen Innenhof sind außerdem Lagerräume untergebracht. Die zuvor tiefergelegene Fläche wurde um einen Meter angehoben, sodass die gesamte Erdgeschossebene nun auf gleicher Höhe liegt. Anstelle des Parkplatzes wurde auf der Südseite zudem ein Lesegarten angelegt.
Sehr viel weniger auffällig ist die äußerliche Veränderung des Ensembles. Ein genauer Blick zeigt allerdings, dass auch die Gebäudehülle bearbeitet wurde. Die Architekt*innen schreiben, dass man die Fassaden gestalterisch reduziert habe, um die äußere Erscheinung, die für den Wiederaufbau von Saint-Dié-des-Vosges nach dem Zweiten Weltkrieg charakteristisch gewesen sei, wiederherzustellen. Die Kosten für das Projekt werden mit 10,5 Millionen Euro angegeben. Davon stammen 6,3 Millionen aus staatlichen Fördertöpfen. (dsm)
Fotos: Eugeni Pons
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ulknudel | 12.05.2024 16:42 Uhrfantastisch
Wunderbare Innenräume und Situationen die hier entstehen. Von aussen nicht zu erahnen. Es macht Spass die Bilder zu betrachten und man will direkt vorbei gehen. Grosse Kunst (im wahrsten Sinne)