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24.08.2009
Was hätte Knobelsdorff gemacht?
Kulka baut Potsdamer Stadtschloss
Überraschung am Wochenende in der brandenburgischen Landeshauptstadt: Am Freitag gab das Finanzministerium den Sieger des seit drei Jahren betriebenen Investoren-Auswahlverfahrens für den Neubau des neuen Landtags und damit für den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses am Alten Markt bekannt. Den Zuschlag bekam der Entwickler BAM Deutschland GmbH, eine Tochter der niederländischen Royal BAM Group. Der einzige zuletzt verbliebene Konkurrent, die Ed Züblin AG aus Stuttgart, schied aus. Was der Öffentlichkeit bislang nicht bekannt war: Die BAM war mit Plänen des Büros Peter Kulka Architektur (Dresden/Köln) ins Rennen gegangen (Entwurf: Peter Kulka und Henryk Urbanietz). Dieser soll jetzt für 119,6 Millionen Euro umgesetzt werden.
Ausschlaggebend für die Entscheidung für Kulka waren nach Presseberichten die Kosten sowie Details wie eine schöne Dachterrasse. Auch die Architektur soll eine Rolle gespielt haben.
Die beiden verbliebenen Entwürfe waren zuletzt in einer geheimen Juryentscheidung unter Vorsitz von Kaspar Kraemer zur Weiterbearbeitung ausgewählt worden (siehe BauNetz-Meldung vom 19. Januar 2009). Die Öffentlichkeit hat die eingereichten Entwürfe bisher nicht gesehen; einen klassischen anonymen Architekturwettbewerb hat es für diese bedeutsame öffentliche Bauaufgabe nicht gegeben.
Das Potsdamer Stadtschloss soll mit den Fassaden des 1744-51 von Georg Wenzelslaus von Knobelsdorff erbauten und 1960 abgerissenen Schlosses versehen werden. Der Software-Unternehmer Hasso Plattner hat die dafür erforderlichen Mehrkosten von 20 Millionen Euro gespendet. Dennoch wird der Neubau keine exakte Kopie des Vorgängers, denn der neue Landtag soll eine Nutzfläche von 19.000 Quadratmetern mit Platz für 150 Abgeordnete erhalten. Dieser Raumbedarf wäre in der Kubatur des historischen Schlosses nicht unterzubringen. Daher wird der Innenhof stärker bebaut als im Original, und es wird ein zusätzliches Obergeschoss eingefügt.
Der Architekt Peter Kulka, der in der Vergangenheit eher als Rekonstruktionsgegner aufgetreten war, erläutert seinen Entwurf in einem Bericht mit Datum von heute, der der BauNetz-Redaktion vorliegt. Wir dokumentieren diesen Text in Gänze:
„Das Konzept für den Neubau des brandenburgischen Landtages entwickelt sich aus der Vorgabe des Bauherren, das Gebäude unter weitestgehender Annäherung an die äußere Gestalt des Stadtschlosses Friedrichs des Großen – von dem Architekten Knobelsdorff erbaut – am Alten Markt in Potsdam zu errichten. Als Mindestziel ist die denkmalgerechte Rekonstruktion der außen liegenden Fassaden sowie der Eingangsanlage mit dem bereits wiederhergestellten Fortunaportal einschließlich der Kopfbauten gefordert.
Diese Vorgabe verlangte die Auseinandersetzung mit einem immer wiederkehrenden Problem beim Wiederaufbau von historischen Gebäuden, die einer neuen Nutzung zugeführt werden sollen. Diese Erfahrung machten wir mehrfach, zuletzt beim Wiederaufbau der Ruine des Residenzschlosses in Dresden, das sich vom Schloss zum modernen Museum wandelt. Mit solchen Nutzungsänderungen geht nicht selten eine Änderung des Raumvolumens einher.
Die zeitgenössische Rekonstruktionsgeschichte zeigt viele Umgangsformen mit diesem Problem. Ziel unseres Entwurfes für das Potsdamer Stadtschloss ist es, äußerlich das Schloss nach dem Entwurf von Knobelsdorff weitgehend original wieder herzustellen. Eine Konfrontation zwischen etwa zwei Drittel ‚historisch‘ und einem Drittel ‚modern‘ ist somit vermieden.
Die Aufgabe ‚Landtag‘ erfordert es, im Inneren ein modernes und funktionales Landtagsgebäude zu schaffen. Übergang und Bindeglied zwischen historischer Hülle und modernem Innenleben bildet das Treppenhaus von Knobelsdorff. Es wird äußerlich original und im Inneren in seiner Geometrie einschließlich der Treppe und den Rudimenten der noch vorhandenen bildhaften künstlerischen Ausstattung wiedererstellt. Verletzungen der Fundstücke bleiben sichtbar und verweisen auf die Zerstörung.
Wir haben uns beim Entwurf die Frage gestellt: Was hätte Knobelsdorff an unserer Stelle gemacht, wenn er sich dieser Aufgabe hätte stellen müssen? Um dem Gesamtausdruck des barocken Stadtschlosses nahe zu kommen, haben wir uns anlässlich der notwendigen Raumvolumenvergrößerung entschieden, das modulare System, die Textur und die Ornamentik der Knobelsdorffschen Fassaden als Grundlage für die Ausbildung der in den Hof hinein vergrößerten Hauptfassade des Südflügels und der Seitenflügel zu verwenden.
Das Schloss, eine dreiflügelige Anlage mit vorgesetzter Bogengalerie und Fortunaportal, ist räumlich und architektonisch auf den Mittelflügel hin konzipiert. Folgerichtig hatte Knobelsdorff die repräsentativen Räume und den Großen Festsaal dort angeordnet. Im diesem Sinne platzieren auch wir die repräsentativen Räume des Landtages analog in diesem Bauteil, wobei der Plenarsaal hinter der historischen Festsaalfassade eingefügt ist.
Zur Unterbringung der Erschließung, der Sitzungssäle, des Plenarsaals und der Räumlichkeiten des Landtagspräsidiums wird der Mittelflügel hierbei zum Innenhof hin vergrößert. Um die Unterbringung der Verwaltungs-, Fraktions- und Abgeordnetenbereiche zu gewährleisten, mussten auch die Seitenflügel von einhüftigen zu zweihüftigen Anlagen erweitert werden. Module, Textur und Ornamentik im Zusammenhang mit dem Rhythmus der vor- und zurückspringenden Fassaden von Knobelsdorff gewährleisten zusammen mit den neu entstehenden ausgewogenen Proportionen des Innenhofes den Geist des Ursprünglichen.
Der Wandel vom feudalen Herrschersitz zum Bürgerschloss vollzieht sich eher leise. Das räumliche Konzept des Entwurfs wird erst durch die Raumabfolge im gesamten Ensemble erlebbar. Der Bürger kommt vom Marktplatz durch das Fortunaportal in den Innenhof, der zum offenen Forum für Veranstaltungen wird.
Durch das historische Treppenhaus gelangen Bürger und Abgeordnete gleichermaßen in das gemeinsame Foyer im Erdgeschoss. Neu geschaffene Treppenaufgänge und Aufzüge geleiten von hier aus – erhellt durch großzügige Lichträume – zu den Hauptebenen mit Plenarsaal, Foyer, Bürgertribüne, den großen Sitzungsräumen bis hin zu den Restaurants mit Aussichtsplattform und zur Bibliothek. Der Plenarsaal öffnet sich nach Süden über die historische Kutschvorfahrt zur Havel.
Durch die weitestgehende Beibehaltung der historischen Erscheinung des Äußeren und die gezielte Aufweitung der Grundstrukturen unter Beibehaltung des historischen, modularen Fassadensystems gelingt es, Potsdams barockes Stadtschloss im Sinne von Knobelsdorff sowohl stadträumlich als auch in Fassade und Silhouette wieder entstehen zu lassen. Gleichzeitig wird durch die räumliche Öffnung und Durchlässigkeit von innen nach außen ein moderner und funktionaler Landtag für Brandenburg im Zentrum von Potsdam geschaffen.
Peter Kulka, 24. 08. 2009“
Kommentar der Redaktion
Kulkas Computersimulationen lassen mit knackscharfen Bildern überdeutlich erkennen, wie der Architekt sich das vorstellt: außen barock, innen „das schönste Plenum der Republik“.
Kulka ist immer dort sehr stark, wo er vorhandene historische Reste kongenial mit einer konsequent zeitgenössischen Zutat ergänzen kann. Das versucht er auch hier. Doch in Potsdam kollidiert er mit der Tatsache, dass hier bis auf minimale Fundstücke keine historische Substanz mehr vorhanden ist. Er kommt in Teufelsküche der Denkmaltheorie, wenn er „alte neue“ Bauteile (Fassaden) mit „neuen neuen“ Bauteilen (Innenausbau) in Kontrast setzt.
Er hat das Problem zwar erkannt (daher soll außen alles „alt“ aussehen), aber nicht konsequent zu Ende gedacht. Das Potsdamer Stadtschloss wird am Ende so empfunden werden wie viele in der Nachkriegszeit realisierten Lösungen von geretteter alter Fassade mit modernem Innenausbau – siehe Gürzenich in Köln von Rudolf Schwarz oder Welfenschloss in Hannover von Dieter Oesterlen.
In zehn Jahren wird die Bausubstanz in Potsdam nicht mehr davon künden, dass hier fünfzig Jahre lang kein Schloss mehr war. Die Betreiber des Schlossneubaus wollen genau das erreichen: die Tilgung der Geschichte. Und sie sind schlau genug, sich dafür der Dienste eines in dieser Hinsicht (bislang) unverdächtigen Architekten zu versichern.
Benedikt Hotze
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