Die Chinesische Mauer ist mit Sicherheit eine der wichtigsten touristischen Attraktionen der Volksrepublik. Doch viele Abschnitte werden nur wenig frequentiert. Manche Teile sind einfach nicht besonders spektakulär, während sich andere in steilem Terrain verbergen. Zur letzteren Kategorie gehört ein Mauerabschnitt in der Provinz Chengde, der sich noch dazu im baufälligen Zustand befindet. Eine provisorische Konzerthalle mit rauem Charme sorgt hier seit letztem Jahr für zusätzliches Interesse. OPEN Architecture aus Peking gestalteten die halboffene Betonkonstruktion, die letztendlich wie ein riesiger Findling wirkt.
Das Projekt befindet sich am Fuß eines schmalen Seitentals ungefähr zweihundert Meter nördlich der historischen Mauer. Inspiriert von der Sedimentierung der umliegenden Felsen stapelten die Architekt*innen Schicht auf Schicht in einer sich zur Basis hin verjüngenden, unregelmäßigen Geometrie. Dabei handelt es sich nicht nur um eine formale Setzung, sondern auch um eine wichtige konstruktive Entscheidung. Die Komplexität der Form ließ sich so nämlich entscheidend reduzieren, was angesichts des nur schwer zugänglichen Geländes eine Umsetzung auch ohne schweres Gerät erlaubte. Die Chapel of Sound – so der Titel des Projekts – umfasst einen halboffenen großen Saal, eine Freiluftbühne sowie eine Aussichtsplattform auf dem Dach.
Das Resultat ist spektakulär und fügt sich doch ein in die schroffe Landschaft. Besucher*innen betreten die Sound-Skulptur durch eine unscheinbare quadratische Öffnung und gelangen dann durch schluchtartige Treppenaufgänge in den Saal. Licht dringt nur durch wenige Öffnungen ins Innere, was den höhlenartigen Raumeindruck noch verstärkt. Auf dem Weg nach oben passiert man mehrfach tief eingeschnittene Öffnungen und Terrassen. Das Bauwerk diene nicht nur als Aufführungsort, sondern werde, wenn niemand spielt, selbst zu einer Art Instrument, das die Elemente ebenso wie die Geräusche der Umgebung einfange, so die Architekt*innen. Zurück auf den Boden der Tatsachen gelangt man schließlich über eine Außentreppe auf der Rückseite.
Was poetisch klingt, hat neben seiner ästhetischen Wirkung aber auch eine handfeste ökonomische Dimension. Das Projekt wurde nämlich von der Aranya-Gesellschaft errichtet, die in der Provinz Hebei im Nordosten ein Resort mit aufsehenerregenden Gebäuden wie der Bibliothek am Strand von Vector Architects und dem Kunstzentrum von Neri & Hu betreibt. Auch OPEN haben hier mit ihrem Museum in den Dünen bereits ein besonders Gebäude geschaffen. Aranya verspricht ein ebenso einfaches wie inspirierendes Leben jenseits großer Städte, das Projekt ist aber – trotz dieses lobenswerten Ziels oder Highlights wie einem eigenen Theaterfestival – vor allem auch eine kommerzielle Unternehmung. Dementsprechend ist auch die Soundkapelle nicht einfach nur ein ungewöhnliches Bauwerk in wilder Natur, sondern Teil einer weiteren, gerade im Entstehen befindlichen Ferienanlage von durchaus beachtlichen Ausmaßen. (sb)
Fotos: Jonathan Leijonhufvud
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Details insbesondere zur Konstruktion der Sound-Skulptur von OPEN auch auf Baunetzwissen.
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Ulknudel | 26.04.2022 11:32 Uhr@Greta
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