Denkmalpflege ist für viele immer noch hauptsächlich mit dem Bewahren schöner alter Häuser verbunden, und Denkmaleigentümer*innen und Architekt*innen fürchten oft dogmatische Forderungen der Behörden. Die amtliche Praxis prägt das öffentliche Bild des Faches. Den wenigsten ist hingegen die lebhafte Theoriegeschichte der Disziplin geläufig oder der breitere Heritage-Diskurs, in dem zunehmend Stimmen laut werden, die hinterfragen, wer für wen bestimmt, was es wie zu erhalten gilt.
Die Geschichte der Denkmalpflege lässt sich nicht auf eine lineare Entwicklung verdichten, so Ingrid Scheurmann. In ihrem 2018 bei Böhlau erschienenen Buch Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege. Zum Umgang mit baulichen Relikten der Vergangenheit nähert sich die Historikerin und Denkmalpflegerin der vielfältigen Fachgeschichte sowie aktuellen Lage ihrer Disziplin in wissenschaftlichen Abhandlungen, essayistischen Betrachtungen und Interviews.
Das Einzigartige an Scheurmanns Buch ist, dass sich die Honorarprofessorin für Denkmalkunde an der TU Dortmund jenseits viel zitierter Protagonist*innen und etablierter Positionen auch auf Nebenwege begibt. Sie diskutiert wenig rezipierte Theoretiker, widmet sich den bezeichnenden Leerstellen der Theoriegeschichte und lenkt den Blick auf kritische Perspektiven des Fachs und seiner Praxis.
„Verliert die Denkmalpflege im Ernstfall ihre Grundsätze? Wer bestimmt über das baukulturelle Erbe? Wie jung kann ein Denkmal sein? Kann Denkmalpflege Avantgarde sein? Was werden die Denkmale der Zukunft sein?“, lauten einige der Fragen, die Scheurmann beschäftigen. Hervorzuheben ist etwa der Abschnitt „Profile Programme Positionen“, wo sie sich verschiedenen Umbruchphasen der fachlichen Profilierung zuwendet. Besonders interessant ist auch das Kapitel „Referenzen“, in dem sie sich mit Kritik, Krisen und Impulsen für die Denkmalpflege in Grundlagentexten von Karl Friedrich Schinkel bis Dieter Hoffmann-Axthelm befasst.
Während die 1970er Jahre allgemein als Zeit des Aufschwungs der Denkmalpflege bekannt sind, widmet sich Scheurmann auch der zeitgleich aufkommenden, wenig diskutierten Kritik an der behördlichen Praxis. Kunsthistoriker Willibald Sauerländer hinterfragte bereits damals deren Spezialistentum. Kulturhistoriker Roland Günter sowie Planungstheoretiker Lucius Burckhardt forderten die Öffnung des Denkmalbegriffs für alltags-und sozialhistorische Artefakte. Solche Ansätze blieben jedoch ohne Resonanz, stattdessen kam es zu „Abwehrgefechten“ gegenüber partizipativen Bestrebungen. Eine von Scheurmann diagnostizierte Schwäche der Denkmalpflege ist ihre „Unfähigkeit, andere als die kanonisierten Sichtweisen zuzulassen“.
Scheurmann ist an anderen Perspektiven interessiert. Das demonstriert der Abschnitt „Außensichten“ in Interviews mit dem Architekten Muck Petzet, der Raumsoziologin Martina Löw oder dem Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel. Viele Illustrationen zeigen künstlerische Arbeiten, etwa Jeffrey Shaws „The Legible City“, Tomás Saracenos „Cloud City“, Bilder aus Gerhard Richters „Stadtansichten“ oder Peter Bialobrzeskis Fotoprojekt „Die Zweite Heimat“. Letztere dokumentieren mit Imbissbuden in Rüsselsheim oder verblichenen Faserzementplattenwänden in Immerath unscheinbare Alltagsorte.
Scheurmanns Sammlung von Texten erweitert die Fachgeschichte jenseits ausgetretener Pfade. Ihr Buch ist eine Aufforderung an die eigene Disziplin, Stellung zu beziehen und die spezifischen Grundlagen neu zu gestalten.
Text: Luise Rellensmann
Konturen und Konjunkturen der Denkmalpflege. Zum Umgang mit baulichen Relikten der Vergangenheit
Ingrid Scheurmann
504 Seiten
Böhlau Verlag, Köln 2018
ISBN 978-3-412-51139-5
60 Euro