Bleibach, Bleibach? Da war doch was ... Ist das nicht das Dorf mit einem Konzerthaus von Peter Haimerl? Fast richtig, denn das befindet sich in Blaibach mit „a“, im Bayerischen Wald. Doch auch Bleibach mit „e“, ganz im Südwesten Deutschlands im Naturpark Südschwarzwald gelegen, kann mit einer architektonischen Landmarke aufwarten: Hier steht ein Kirchturm aus Holz, entworfen vom ortsansässigen Büro Architektur 3.
Bleibachs Kirche St. Georg ist – nicht nur für kunsthistorisch Interessierte – sehenswert, vereinigt der Bau doch nicht weniger als fünf Stilepochen vom späten Mittelalter bis zur Moderne unter einer Dachlandschaft. 1975 wurde das Langhaus der Kirche abgetragen, nur der gotische Chor aus dem Jahr 1514 und das Beinhaus aus dem Jahr 1720 blieben erhalten. Das Langhaus wurde 1977 durch eine zeltartige, mit rostrotem Aluminium verkleidete Konstruktion ersetzt, die über große dreieckige Glasfronten verfügt. Der damalige Entwurf des Architekten Josef Laule verzichtete absichtlich auf einen Glockenturm.
Nun haben die Glocken selbst dafür gesorgt, dass doch noch ein Turm gebaut wurde: Durch die bei ihrem Läuten entstehenden Schwingungen gab es Risse im Mauerwerk des Chorgestühls, in dessen Dachgeschoss die vier Glocken seit den 1950er Jahren eher provisorisch untergebracht waren. Für ein solches Gewicht sei die Dachkonstruktion auf Dauer nicht ausgerichtet, erläutert der örtliche Pfarrer die Gründe für den aktuellen Ergänzungsbau, auch seien nach heutigen Maßstäben die Emissionswerte beim Läuten zu hoch und darüber hinaus der Zugang zur Glockenstube über eine zwölf Meter hohe Leiter viel zu gefährlich.
Architektur 3 entwarf einen dreieckigen, 23 Meter hohen Holzturm, in dem neben den vier Glocken auch noch eine Aussichtsplattform für Besucher Platz fand. Über dem Glockengestühl wurden ferner Brutvorrichtungen für seltene Vögel und Fledermausarten eingebaut. Die markante Dreiecksform war von der Kirche vorgegeben, so Architekt Klaus Wehrle. Der Turm folgt damit nicht nur der bestehenden Formensprache, sondern ergänzt diese auch symbolisch: Im christlichen Glauben steht das Dreieck als Symbol für die Dreifaltigkeit, ergänzt der Planer.
Die dynamischen Lasten der schwingenden Kirchturmglocken erforderten ein besonderes Augenmerk bei der Statik, dies prägt auch die pragmatische Innenraumgestaltung des hölzernen Kirchturms. Der hohen Steifigkeit wegen sind die Wände, Treppen und Decken aus Kreuzlagenholztafeln aus heimischer Weißtanne gefertigt. Das offene Fundament des Turms wurde mit Gneissplitt gefüllt und soll an die lange Bergbautradition erinnern, die es in Bleibach gab: Beim Betreten des Turms hallt das Knirschen des Splitts im Resonanzkörper des hohen Treppenraums nach.
Innovativ ist die Verwendung von Accoya für die Verschalung der Fassaden und Dachflächen. Das acetylierte Holz soll durch die Behandlung langlebiger und widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Witterung werden. Über Schiebeläden lassen sich die Wände der Aussichtsplattform auf allen drei Seiten öffnen. Durch die Lamellen darüber tritt der Schall der Kirchturmglocken gerichtet aus, damit die Nachbarn nicht aus den Betten fallen. 110.000 Euro der Baukosten in Höhe von 685.000 Euro stammen aus Spenden, weitere 100.000 Euro konnten aus dem Förderprogramm für innovativen Holzbau der Europäischen Union akquiriert werden. (tl)
Fotos: Oliver Kern
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ito | 24.04.2020 10:04 UhrBild 2
Ist die naheliegende Assoziation zur Capirote gewünscht und was möchte diese uns mitteilen?