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07.06.2021

Neues Selbstbewusstsein auf Glas

Kirche in Südchina von Inuce


Nachdem während der Kulturrevolution das religiöse Leben in China gänzlich verboten war, haben viele Religionen in den letzten dreißig Jahren einen massiven Aufschwung erlebt. Dazu gehört allem voran das Christentum. Dennoch steht der laizistische Staat den Religionen weiterhin skeptisch gegenüber. Es ist auch immer noch eher ungewöhnlich, dass ein Neubau für eine Kirche genehmigt wird. Für eine kleine Gemeinde in Luoyuan ergab sich die Gelegenheit, außerhalb des Stadtkerns ein neues Gotteshaus samt gemeinschaftlich nutzbaren Flächen zu realisieren. Entworfen hat den Neubau Inuce, das Büro des deutsch-brasilianischen Architekten Dirk U. Moench mit Sitz im chinesischen Fuzhou und im schweizerischen Weinfelden. Ähnlich wie das ebenfalls von Inuce entworfene Gemeindezentrum in Fuzhou deutet auch dieser Bau auf ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein hin, mit dem sich christliche Gemeinden in China der Öffentlichkeit zeigen möchten.

Luoyuan ist von einem enorm schnellen Bevölkerungszuwachs betroffen: Innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten ist aus dem ehemals kleinen Fischerdorf eine Stadt mit über 200.000 Einwohnern geworden – Grund hierfür ist vor allem das reiche Granitvorkommen in der Gegend. Durch das Wachstum entstehen viele neue Stadtteile und mit ihnen der Bedarf an Gemeinschaftsflächen. Mit großer Ausdauer sammelte die christliche Gemeinde Luoyuans Gelder, um den Bau der Kirche samt gemeinschaftlich nutzbaren Flächen zu finanzieren. Nach fast 10 Jahren Planung konnte das Haus, das neben Kirchenräumen auch Klassen- und Arbeitsräume, Büroflächen sowie ein Büchercafé und ein Teehaus bietet, nun endlich fertiggestellt werden.

Ziel sei gewesen, „die vielschichtigen „weltlichen“ Anforderungen eines gemischt genutzten Gemeindehauses mit dem würdevollen Ausdruck eines Gotteshauses in Einklang zu bringen.“, sagen die Architekt*innen. Für ihren Entwurf kombinierten sie die in ihrer Materialität an Brasílias Kathedrale erinnernde Architektur mit einer ortstypischen Bauweise: Basis bildete der Grundriss der sogenannten Tulou – hierbei handelt es sich um ringförmig angelegte Wohnhäuser der chinesischen Volksgruppe „Hakka”, die sich um einen zentralen Hof mit Teepavillon orientieren. Im Falle des neuen Gemeindehauses in Luoyuan stehe dieser Innhof symbolisch für den Ort, wo die Generationen des Alten und Neuen China versöhnlich zusammenfinden und sich zuhause fühlen, heißt es in der Projektbeschreibung.

Eine Besonderheit des Kirchenraums ist seine blau schimmernde gläserne Hülle, die sich aus insgesamt über 100.000 Einzelstücken zusammensetzt. Zwei religiöse Kunstwerke zieren die Doppel-Glasfassade, die nachts aus dem Hohlraum zwischen Innen- und Außenfassade künstlich beleuchtet wird. Im Inneren soll der Betrachter in die Tiefen des Ozeans eintauchen: Das Werk, genannt „De Profundis“, verweist laut Architekt*innen auf Psalm 130: „De profundis clamavi ad te, Domine“ (Aus der Tiefen rufe ich, Herr, zu dir) und stellt gleichzeitig eine Verbindung zur lokalen Geschichte Luoyuans als traditionelles Fischerdorf her. Die Außenfassade mit dem als „Spiritus Sanctus“ bezeichneten Werk spiegelt die neue Selbstsicherheit der christlichen Gemeinde wider: Das Bild zeigt eine sich ausbreitende Flamme und nimmt damit Bezug auf das Licht des Heiligen Geistes, das sich über die Welt ausbreiten und die Menschen in Christo vereinen soll. (dsm)

Fotos: Shi Kai / Inuce



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