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07.11.2012

Pas de deux in Chicago

Kein Glück für Goldbergs Kleeblatt?


Für ganze zwei Stunden ein Denkmal: Ein ehemaliges Krankenhaus in Chicago dürfte bald in die Geschichte eingehen – als das Gebäude, das wohl die kürzeste Zeit seines Daseins den Denkmalstatus hatte. Vergangenen Donnerstag erklärte Chicagos Denkmalausschuss das Prentice Women’s Hospital von Bertrand Goldberg (1913-97) vorläufig zu einem „Chicago Landmark“, entzog dem ikonischen Bau den Titel jedoch zwei Stunden später auf Grund eines wirtschaftlichen Gutachtens. Nach langer öffentlicher Debatte heißt es nun „Abriss frei“ für den Eigentümer Northwestern University, der den kleeblattförmigen Betonturm durch einen Wissenschaftskomplex für Biomedizinische Forschung ersetzen will. Kann ein Entwurf von Studio Gang Architects die Uni doch noch zum Umdenken bewegen?

Von vielen Bürgern Chicagos unverstanden, doch international verehrt: Von New York über Osaka bis Kopenhagen unterzeichneten renommierte Architekten und Denkmalpfleger eine Online-Petition zum Erhalt des seit 2011 leer stehenden Wahrzeichens. Neben Bjarke Ingels, Renzo Piano und Tadao Ando setzte auch der Berliner Landeskonservator Jörg Haspel seine Unterschrift auf den Brief an Chicagos Bürgermeister Rahm Manuel, der auf den baukulturellen Wert von Goldbergs  kühner architektonischer Skulptur aufmerksam machen sollte.

In dem Schreiben würdigen die Prentice-Verfechter den auf einem fünfstöckigen Glaspodium schwebenden Kleeblattturm mit seinen ovalen Fenstern als ingenieurstechnischen Durchbruch. Der 1975 erbaute Turm eines „wahren Chicagoer Architekten“ sei ein wichtiger Beitrag zum globalen Ruf Chicagos als Nährboden mutiger und innovativer Architektur. Unbeirrt davon verkündete Manuel wenig später: Eine moderne Einrichtung brauche ein modernes Design. Die Anhörung im Denkmalausschuss war für viele Denkmalschützer ein Scheinverfahren.

Prentice blieb das einzige Krankenhaus, das Goldberg, der unter anderem am Bauhaus studierte und als Mitarbeiter bei Mies van der Rohe beschäftig war, während seiner 60-jährigen Karriere in seiner Heimatstadt baute. Nicht nur Gestalt und Konstruktion von Prentice sind einzigartig, es revolutionierte außerdem den modernen Krankenhausbau: Als Geburtsklinik konzipiert, gruppieren sich die Patientenbereiche in den vier Blattstrukturen rund um die Pflegestation im Gebäudekern, was die Wege zwischen Krankenpflegern und Patienten enorm verkürzte.

Wo über einen Zeitraum von 30 Jahren neues Leben auf die Welt kam, soll in Zukunft lebensrettende medizinische Forschung stattfinden. Während die Befürworter des Erhalts Prentice retten wollen („Save Prentice“), wollen die Universitätsanhänger mit dem Abriss und anschließendem Neubau Leben retten. Mit ihrem Slogan: „Finding Tomorrow‘s Cures“ (Forschen für die Medizin von Morgen) wird der Krankenhausabriss zur lebensrettenden Maßnahme hochstilisiert – ein Totschlagargument für die Denkmaldebatte.

Bis sich Michael Kimmelman einmischte: Der Architekturkritiker der New York Times veröffentlichte kurzerhand einen Entwurf von Jeanne Gang. In Kimmelmans Auftrag entwarf die Chicagoer Architektin mit ihrem 1997 gegründeten Studio Gang Architects eine kreative Lösung zur Einigung beider Parteien. Einen 31 Stockwerke hohen Wolkenkratzer setzt Gang in ihrem Vorschlag auf den Krankenhausturm auf. Integriert in den Neubau, ähnelt die von Goldberg mit Hilfe von Raumfahrt-Software entworfene komplex gekrümmte Struktur einem Raketentriebwerk – bereit, einen Glasturm in den Himmel Chicagos zu jagen.

Rund 55.000 Quadratmeter Forschungsfläche beherbergt der 200 Meter hohe Aufbauturm mit seinen konkav gewöbten Seitenfassaden. Für Jeanne Gang eine „einladene, leichte Form im Gegensatz zu den vielen schweren, soliden Kisten“, die in Chicago sonst noch stehen. Kimmelman lobt die Dynamik des Entwurfs als ein „pas de deux“ zwischen den nach innen schwingenden Fassadenseiten und den Wölbungen des Goldberg-Baus.

Skywalks verbinden den Turmneubau mit dem benachbarten Universitätsgebäude. Weitere Büros, Unterrichtsräume und Restaurants könnten auf 23.000 Quadratmeter in Goldbergs ehemaligem Krankenhaus verteilt werden. Form und Konstruktion eigenen sich hervorragend für eine Umnutzung, so die einhellige Meinung der für den Erhalt kämpfenden Architekten. Ingenieurstechnisch sei der Gebäudekern das perfekte Ready-made als Gründung für den Neubau.

Mit der Umsetzung ihres Vorschlags könnte die Universtiät nicht nur „Leben retten“, sondern auch ein architektonisches Einzelstück von besonderem kulturellen Wert bewahren und dadurch zur „gesünderen“ Entwicklung des staedtischen Raums beitragen, so Kimmelmans Botschaft.

Zwar gefährdeten jegliche Veränderungen – ob Umnutzungen oder Anbauten – immer das Original, aber neue Lebensphasen machten Häuser auch faszinierender und spannender, beschwört der Architekturkritiker. Die Vision einer aufstrebenden Architektin scheint die perfekte Symbiose mit dem Erbe Goldbergs einzugehen. Eine Architektur, die Vorhandenes integriert, steht für Kontinuität und Vielfalt zugleich – und könnte gerade damit die perfekte Ikone einer renommierten amerikanischen Universität werden. Es bleibt die Hoffnung, dass die Entwurfsidee von Jeanne Gang doch noch das Leben des Prentice-Baus rettet, damit dieser nicht genauso schnell aus dem Chicagoer Stadtbild verschwindet, wie ihn der Denkmalausschuss vergangene Woche wieder aus seiner Liste radierte.

(Luise Rellensmann, Los Angeles)


Zum Thema:

Online-Petition  für den Erhalt des Prentice Women’s Hospital von Bertrand Goldberg in Chicago unterschreiben


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Doch keine Landmarke – das Prentice Hospital ist in der Stadtlandschaft Chicagos festverankert, einen offiziellen Denkmalstatus bekam es vergangenen Donnerstag trotzdem nicht zugesprochen.

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