Warum ist der belgische Architekt Juliaan Lampens (1926–2019) noch immer weitgehend unbekannt? An seiner Architektur liegt es sicher nicht. Sein Studium in Gent schloss er 1950 ab und arbeitete von Anfang an im eigenen Büro. Bis 1958 entwarf er eher traditionelle Häuser, dann entdeckte er auf der Expo in Brüssel seine Liebe zur kompromisslos modernen Architektur. Diese Liebe setzte er anschließend in raue, rohe Gebäude um, mit offenen Grundrissen, Sichtbeton, Möbeleinbauten aus Holz und Stahl sowie in großzügigen Verbindungen zwischen den inneren und äußeren Landschaften seiner Häuser. Zu den bekanntesten Werken zählen das eigene Wohnhaus in Eke (1960), die schräg ansteigende Beton-Kapelle Onze-Lieve-Vrouw van Kerselare in Oudenaarde (1966), die Bibliothek in Eke (1970) und das Haus van Wassenhove in Sint-Martin-Latems (1974).
Dass Lampens dennoch ein weitgehend Unbekannter blieb, hat sicher auch mit dem Fehlen irgendeiner größeren Publikationen über sein Werk zu tun. Erst in den 2010er-Jahren, da war er bereits über 80 Jahre alt, erschienen zwei Bücher in Englisch; die Monographie von Angelique Campens (ASA, 2011) war aber ebenso rasch vergriffen wie die Lampens-Ausgabe der Zeitschrift A+U 2014.
Nun hilft das Vlaams Architectuurinstituut diesem Mangel ab – zum Teil wenigstens. „Juliaan Lampens 1950-1991“ ist der Reprint eines ursprünglich 1991 auf niederländisch erschienen Ausstellungskatalogs. Der Titel ist etwas missverständlich, denn das Buch konzentriert sich alleine auf die nach dem Expo-Besuch ab 1960 entstandenen Bauten. Die Neuauflage folgt dabei exakt dem Original, es liegt allerdings ein querformatiges Heft mit einer Übersetzung aller Texte ins Französische und Englische bei. Ansonsten ist das Buch exakt so, wie Lampens es 1991 gestaltet hatte.
Das bedeutet auch, dass es über weite Strecken eher als ein Künstlerbuch als eine leicht verständliche Dokumentation der Gebäude daherkommt: Aquarelle und Skizzen, Notizen und Briefe wechseln sich mit Schwarzweiß-Fotografien, Plänen und technischen Detailzeichnungen ab. Aber nur in Ausnahmefällen gibt es Fotos von innen und außen, Grundrisse und Schnitte. Sonst bleibt der Eindruck vieler Gebäude flüchtig und fragmentarisch. Es ist oft eher so, als würde man einen flüchtigen Ausschnitt im Vorbeifahren erhaschen – wer die Gebäude nicht schon kennt, wird Mühe haben, sie alleine anhand dieses Buchs zu verstehen.
Es ist also eher kein Buch für Lampens-Einsteiger, sondern eine Schatztruhe für Fortgeschrittene. Denn für Fans eröffnet es einen wunderbaren, unverzichtbaren Blick in Lampens‘ Gedankenwelt, zusammen mit einem schönen, klaren Essay von Paul Vermeulen über das Werk und die Persönlichkeit des Architekten. Und dann lassen sich weitere Informationen und Bilder zu den im Buch so ausschnitthaft präsentierten Projekten heutzutage ja auch in immer größerer Zahl im geteilten Gedächtnis der Menschheit finden: im Internet. Das hilft auch ein bisschen.
Text: Florian Heilmeyer
Juliaan Lampens 1950–1991
Vlaams Architecturinstituut (Hg.)
Mit Beiträgen von Juliaan Lampens, Gerard Vandenhaute und Paul Vermeulen
136 Seiten
Vlaams Architectuurinstituut, Antwerpen 2020
ISBN 978-94925-67-147
49,50 Euro
Der Reprint erscheint zeitgleich zur Ausstellung „Unfolding the Archives #2: Juliaan Lampens“, die noch bis zum 10. Januar 2021 im Ausstellungsraum deSingel in Antwerpen zu sehen ist. Bitte informieren Sie sich vor Ihrem Besuch über die coronabedingten Öffnungszeiten.
Zum Thema:
Mehr zu Juliaan Lampens in der Baunetzwoche#541 „Zu Gast in privaten Meisterwerken“.
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ixamotto | 27.11.2020 12:11 Uhr@nur ein architekt
wenn Sie ihren gedanken lustig finden, dann haben sie wahrscheinlich recht.