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16.10.2018
Den Leuten zuhören
Jeanne Gang über Hochhäuser, Flussufer und Polizeistationen
Das von Jeanne Gang gegründete Studio Gang baut nicht nur Hochhäuser in Chicago, San Francisco und Amsterdam. Auf die diesjährige Biennale nach Venedig brachte das Büro originale Pflastersteine aus Memphis. Friederike Meyer traf die Amerikanerin Jeanne Gang im Sommer auf der reSITE-Konferenz in Prag. Sie sprach mit ihr über Polizisten, das Mississippi-Ufer und Ranglisten für Wolkenkratzer.
Interview: Friederike Meyer
Frau Gang, Ihr Büro ist mit dem Aqua Tower in Chicago international bekannt geworden. Es heißt, der Turm sei das höchste von einer Frau geplante Gebäude der Welt. Ist das für Sie von Bedeutung?
Jeanne Gang: Die Leute machen sich verrückt beim Thema Statistik und Wolkenkratzer. Es gibt Websites, die sich nur mit diesem Thema befassen. Ich verbuche es als eine statistische Größe, die es deshalb gibt, weil sich jemand die Mühe macht, Ranglisten zu führen. Zum Thema Frauen: Wir haben eine 50/50-Männer/Frauen-Besetzung des Büros, und bei uns gibt es gleichen Lohn für gleiche Arbeit. In Amerika existiert immer noch diese Kluft zwischen dem, was die Architektin und dem, was ein Architekt verdient. Als Chefin meines Unternehmens möchte ich diese Kluft überwinden. Das aber haben wir komplett erst in diesem Jahr erreicht.
Auf der Biennale in Venedig stellen Sie ein Stück originalen Pflastersteinboden aus Memphis aus. Warum?
In Memphis haben wir einen Rahmenplan für die Flussuferzonen entwickelt. Wir wollen dort am 600 Meter langen Abschnitt der Cobblestone Landing einen öffentlichen Raum für die Stadt zurückgewinnen, mit dem sich alle identifizieren können, einen Ort, der inklusiv ist. Früher war dort der Stadthafen, auch die Boote mit Baumwolle legten da an. Heute ist Cobblestone Landing leider sehr vernächlässigt. Nach vielen Gesprächen mit den Bewohnern stellten wir fest, dass jeder etwas anderes mit der Gegend verbindet. Einige sagten, der Ort sei von stadtgeschichtlicher Bedeutung. Andere meinten, es müsse eine Landmarke entstehen, manchen war die Gegend vollkommen unbekannt. Schließlich erzählt der Ort auch Geschichten aus der Sklaverei. Wir fragen uns derzeit, wie man auf all das planerisch reagieren kann.
Wer sind Ihre Auftraggeber?
In Memphis arbeiten wir mit der Mayor’s Riverfront Task Force und Memphis River Parks zusammen. Ganz häufig generieren wir uns unsere Projekte selbst. Manchmal werben wir Gelder ein oder verwenden Überschüsse aus anderen Projekten. Ich verstehe Architektur als Mittel, mich mit der Welt auseinander zu setzen, sie zu kommentieren, einzugreifen. Es muss nicht alles ein kommerzielles Projekt zwischen Bauherr und Architekt sein. Die POLIS Station in Chicago zum Beispiel war ein selbstinitiiertes Projekt.
Da ging es um eine planerische Antwort auf Gewalt, richtig?
In amerikanischen Städten erleben wir seit einigen Jahren eine massive Ausbreitung der Gewalt, Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bevölkerung. Wir nennen unser Projekt für die Polizeiwache POLIS Station, nach dem griechischen Wort für Stadt. Die Wache soll ein öffentlicher Ort für persönliche Kontakte zwischen der Bevölkerung und der örtlichen Polizei sein. Man muss sich besser kennen lernen. Bei unseren Recherchen hatten wir herausgefunden, dass es seit der Umstellung von der Fußstreife zur reinen Autostreife keine direkten Kontakte mehr gibt. Man schlägt eher jemanden, den man nicht kennt. Unsere Idee war, die beiden Gruppen zusammenzubringen, damit sie sich in einer weniger stressigen Umgebung besser kennenlernen können.
Wie haben Sie es geschafft, dass Polizisten und Jugendliche miteinander Basketball spielen?
Bei unserer Fallstudie für eine Polizeiwache in Chicago haben wir festgestellt, dass alle Polizeiwachen diese unsinnig großen Parkplätze haben. Sie stellen eine räumliche Trennung zwischen Polizei und Bewohner dar. Gleichzeitig aber gibt es in den Stadtteilen kaum Sportplätze. Cops wie Kids lieben Sport, so haben wir Geld dafür aufgetrieben, Spielflächen für Basketball auf einem kleinen Teilbereich des Parkplatzes anzulegen. Die Jugendlichen haben sofort angefangen, dort zu spielen. Bis dahin hatten sie Angst, sich überhaupt einer Polizeiwache zu nähern, weil sie es so von ihren Eltern gelernt hatten. Inzwischen werden auf der Wache Bälle verwahrt, die man sich für das Spiel ausleihen kann.
Was treibt Sie an als Architektin?
Ich wollte nicht unbedingt eine Polizeiwache entwerfen, es ging eher darum, auszuprobieren, was die Architektur in diesem Fall beitragen kann. Planungen im öffentlichen Raum sind keine Kopfgeburten der Architekten. Sie brauchen zeitlichen Vorlauf. Das Mindeste, was wir Architekten tun sollten, ist den Leuten zuzuhören. Oft genug separieren wir uns als Planer, sitzen irgendwo auf einer Wolke. In Wirklichkeit kann man kreativ sein mit allem und jedem, die Leute zusammenbringen und das als Inspirationsquelle nutzen. Das versuchen wir als Büro zu tun.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Michael Goj
Zum Thema:
Da Interview entstand im Zusammenhang mit reSITE 2018 ACCOMMODATE. Die Konferenz fand im Juni in Prag statt.
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Bürogründerin Jeanne Gang
Bekannt geworden ist Studio Gang für das Hochhaus „Aqua Tower“ in Chicago.
Auf der Biennale in Venedig 2018 stellte Studio Gang im amerikanischen Pavillon Pflastersteine aus Memphis aus.
Auf der Architekturbiennale in Chicago 2017 präsentierte Studio Gang ein Konzept, das die Akzeptanz von Polizeiwachen in der Bevölkerung verbessert.
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