Die BauNetz-Redaktion hat Sie im bald zu Ende gehenden Jahr über 1.600 Mal tagesaktuell informiert: ein neuer Rekord mit durchschnittlich mehr als sechs Meldungen pro Werktag. Am Freitag, 17. 12. 2004, wird der Newsletter für dieses Jahr zum letzten Mal erscheinen. Ab Montag, den 3. Januar 2005, versorgen wir Sie wieder mit Nachrichten aus der Welt der Architektur.
Wir wollen das Redaktionsjahr nicht beschließen, ohne einen resümierenden Blick auf das ablaufende Jahr zu werfen.
Zu Beginn des Jahres war der Wiederaufbau am Ground Zero in New York das Thema, das weltweit Architekten und die Öffentlichkeit am meisten bewegte. Die Hoffnung auf eine gelungene Gestaltung des Geländes war mit der Wahl von Michael Arads Entwurfs für das Mahnmal zwar zunächst gestiegen, wurde aber bald darauf von dem unwürdigen Gezerre zwischen Daniel Libeskind und David Childs, Larry Silverstein und dem Rest der Welt wieder überschattet und schließlich von der Meldung, dass zunächst keines der charakteristischen Hochhäuser gebaut wird, vollends ad absurdum geführt.
Libeskind konnte sich bei keinem einzigen Architekturwettbewerb einen Hochbauauftrag sichern und ist damit als Gestalter am Ground Zero faktisch aus dem Rennen.
Dass von SOM kaum eine sinnstiftende oder auch nur ästhetisch neuartige Gestaltung zu erwarten ist, bewies zuletzt das 2004 eingeweihte Time Warner Center in New York , das von diesen Architekten entworfen wurde.
Dennoch vertraut man auch an New Yorks städtebaulicher Wunde auf wohleingeführte große internationale Namen, wie die Wahl Santiago Calatravas für den Bau des neuen Bahnhofs am Ground Zero beweist.
Wie Calatrava gelang es fast allen berühmten Architekten der Welt im vergangenen Jahr einmal mehr, im Zentrum der weltweiten (Medien-)Aufmerksamkeit zu bleiben: Norman Foster zum Beispiel, dessen Gurke der „30 St Mary Axe“ (vormals Swiss Re) in London zugleich Anerkennung und Spott auslöste, bekam neue Aufträge für Museen in Washington und Boston, ein Kulturzentrum in Stadt Saint-Etienne und eine neue Oper in Dallas. Während an seinem Umbau eines Luxushotels in Zürich noch gebaut wird, wurde die spektakuläre Brücke bei Millau erst im Dezember von Jaques Chirac höchstpersönlich eingeweiht.
Zaha Hadid, die dieses Jahr als erste Frau der Welt den Pritzker-Preis erhielt, geht mit neuen Aufträgen in Marseille , Glasgow, Durango und Wien in das neue Jahr, während ihre Museen in Kopenhagen und Wolfsburg ihrer Fertigstellung entgegensehen.
Rem Koolhaas' wichtigstes Gebäude des Jahres 2004 war zweifelsfrei die neue Bibliothek in Seattle. Sie stellte OMAs „Leeum“ in Seoul, den Prada-Laden in Beverly Hills und den U-Bahnhof in Den Haag bei weitem in den Schatten. Der Bau des für Koolhaas derzeit wichtigsten Bauprojekts, des CCTV-Hochhauses in Peking, wurde 2004 endlich begonnen, nachdem es eine Zeitlang so aussah, als könnte das Projekt eingestampft werden.
Renzo Piano luchste Koolhaas allerdings den Auftrag zum Umbau des Whitney-Museums in New York ab, machte aber 2004 lediglich mit der Kirche „Padre Pio“ in Italien und dem neuen Flughafen in seiner Heimatstadt Genua von sich reden.
MVRDVs wichtigster architektonischer Beitrag 2004 war der Entwurf des Serpentine Pavillons in London.
Frank Gehrys wichtigste Bauten des Jahres waren der Pritzker Pavillon in Chicago und das neue Laborgebäude am MIT. Aber auch das „MARTa“ in Herford und neue Museen in Jerusalem und seiner Heimatstadt Toronto sind nach Gehrys „bewährt-unkonventionellen“ Muster gestrickt.
Der weltweite Trend unter geltungsbedürftigen Stadtvätern, mit immer neuen Museen Touristen und Investoren auf ihre Städte aufmerksam zu machen, hält unvermindert an. New York ging voran und zelebrierte den Umbau des MoMA von Yoshio Taniguchi wie ein Weltereignis.
Obwohl die Beauftragung des internationalen Reigens der sogenannten Stararchitekten immer weiter geht, können auch namhafte Architekten Pech haben: 2004 wurde beispielsweise nicht nur Bernard Tschumi der Auftrag für den Bau des Akropolis-Museums in Athen entzogen, auch Liverpool zog es vor, ohne Will Alsops Entwurf für das „Cloud“ genannte Bürohaus auszukommen.
Die größte und architektonisch nach wie vor bei weitem interessanteste Stadt in Deutschland, Berlin, erhitzte 2004 besonders zwei Themen, die von übergeordneter kulturpolitischer Brisanz waren und sind:
Während Zumthors Entwurf für die Topographie des Terrors wohl endgültig in die lange Liste der nie gebauten Berliner Meisterwerke gehört, scheint das letzte Wort beim Palast der Republik noch nicht gesprochen. Der Wiederaufbau der benachbarten Bauakademie als hohles, von einem Autokonzern gesponsertes Plastikzelt zeigte einmal mehr, dass finanzielles und bürgerliches Engagement zum Wiederaufbau historischer Bauwerke im Zentrum Berlins schlicht nicht auszureichen scheinen.
Das ideenreiche und ambitionierte Engagement überwiegend jüngerer Berliner Architekten und Kulturschaffenden könnte der Palastruine ein längeres Leben bescheren, als manchem Politiker recht ist.
Auch der Bauboom für Berlins neue Rolle als Hauptstadt ebbt kaum ab: Die Botschaften von Oman und der Vereinigten Arabischen Emirate wurden 2004 eingeweiht und der Grundstein für die Botschaft der USA endlich gelegt. Auf dem Köbisdreieck, das derzeit bebaut wird, werden weitere Gesandtschaften entstehen.
Der Hauptstadt-Tourismus floriert, und immer neue Hotels halten die Zimmerpreise in Berlin weiter niedrig: Das neue Dom-Aquaree-Hotel und das Hotel im ehemaligen Siemens-Hauptsitz wurden 2004 in Berlin eingeweiht, das neue Riesenhotel von Kleihues junior und das Grand Hotel de Rome von Novotny und Mähner sind derzeit im Bau. An der Friedrichstraße baut Bernd Richter weitere 360 Hotelbetten für einen spanischen Konzern.
Auch Berlins breites Angebot an Museen wird ständig erweitert: Im Jahr 2004 kamen nicht nur das sanierte Zeughaus und der neue Sitz der Berlinischen Galerie, sondern auch die hochkarätigen Sammlungen von Newton und Flick in eigenen Häusern hinzu.
Berlins Ruf als Medienstadt stärken die Neubauten des Axel-Springer-Verlags und die Neuansiedlung von MTV.
Mit der Fertigstellung des Umbaus des Olympiastadions macht sich Berlin wie alle deutschen Austragungsorte mit aufwändigen Stadien-Um- und Neubauten hübsch für die Fußballweltmeisterschaft 2006.
Leipzigs Olympiabewerbung 2012, die der Architektenschaft einige größere Wettbewerbe beschert hatte, blieb hingegen leider erfolglos. Die Stadt untermauerte ihren Ruf als kulturell lebendigste Stadt in den neuen Bundesländern aber mit den 2004 eröffneten Neubauten der Galerie für zeitgenössische Kunst und dem Bildermuseum. Paris, New York, Moskau, London und Madrid sind weiterhin im Rennen als Olympia-Gastgeber, und die dortigen Architekten scharren mit den Hufen.
Auch 2004 war ein Olympiajahr: Die Olympia-Bauten von Calatrava gaben zwar einen telegenen Hintergrund für die TV-Berichterstattung in Athen ab, eine ähnlich nachhaltige Stadtentwicklung wie einst Barcelona hat die griechische Hauptstadt jedoch nicht betrieben.
Auch die beiden nächsten gastgebenden Städte für das größte Sportereignis der Welt, Turin und Peking, machten 2004 schon architektonisch von sich reden: Während Turin mit einigen prominenten Bauprojekten eine neue Identität in der „Post-FIAT-Ära“ sucht, fiel Peking eher dadurch auf, die hochgesteckten baulichen Ambitionen als Olympiastadt nun nicht durchhalten zu wollen oder zu können.
In der chinesischen Kapitale fand zwar 2004 erstmals eine Architekturbiennale statt; die Idee, das erfolgreiche Konzept in Venedig einfach klonen zu wollen, ging jedoch nicht auf.
Der deutsche Beitrag zur originalen Biennale in Venedig wurde mit viel Aufmerksamkeit verfolgt und galt gemeinhin als Erfolg. Lille und Genua, die 2004 die europäischen Kulturhauptstädte waren, haben hingegen leider architektonsich wenig von sich hören lassen.
Im März 2005 wird in Aichi/Japan die nächste Weltausstellung eröffnet; der deutsche Beitrag von Ulrich Lippsmeier hat es bisher jedoch noch nicht vermocht, Appetit auf die Expo zu machen.
Die beiden wichtigsten berufsständischen Organisationen der deutschen Architektenschaft bekamen im vergangenen Jahr neue Köpfe: Neuer BAK-Präsident ist Arno Sighart Schmid, und der neue Bundesgeschäftsführer des BDA heißt Bernhard Schneider. Leider musste das BauNetz auch 2004 einige Todesmeldungen bringen: Mit Otto Steidle und Paulfriedrich Posenenske, Josef Paul Kleihues, Jan Rave und Erwin Heerich verlor die deutsche Architekturszene wichtigste Protagonisten.
Die internationale Architekturwelt musste um Pierre Koenig, Alberto Camenzind, Barbiano di Belgiojoso, Al Mansfeld und Roland Rainer trauern.
Der Praemium Imperiale 2004 ging an Oscar Niemeyer, der immer noch als Architekt aktiv ist und in Belo Horizonte derzeit ein neues Verwaltunsgszentrum plant. Philip Johnson hingegen hat sich mit 98 Jahren aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen. Peter Cook wiederum hat exemplarisch vorgemacht, wie man sich als ewig-rebellischer „Avantgarde-Architekt“, der kaum jemals etwas gebaut hat, den Lebensabend versüßen kann: Er wechselte kurzerhand zum amerikanischen Großbüro HOK, das besonders für seine pseudo-dörflichen Baseballstadien bekannt ist, mit denen HOK jede Stadt in den USA mit mehr als drei Tankstellen überzogen hat.
Eines der wichtigsten Themen in der deutschen Architekturdiskussion war im zu Ende gehenden Jahr der Export von Planungsleistungen. 2004 schien eine Trendwende zu markieren: Während die besonders kleinteilig organisierte deutsche Architektenschaft oft mangels Masse sich ein riskantes Auslandsengagement nicht leisten kann oder will, räumen die großen deutschen Büros international immer häufiger ab: Christoph Ingenhoven bekam den Auftrag für ein neues Hochhaus in Osaka, gmp bauen neue Hochhäuser in Dalian und Ningbo/China, vier Sportstadien in Dubai und das Nationalmusuem in Peking.
Behnischs „Genzym Center“ in Boston wurde international sehr wohlwollend aufgenommen. Ein Sonderfall in der deutschen Planerlandschaft ist das Aachener Büro Tilke, dessen 2004 fertig gestellten Formel-1-Rennstrecken in Bahrain und Schanghai Aufsehen erregte. Den nächsten Auftrag für Mexiko hat es bereits in der Tasche.
Auch etwas kleinere deutsche Büros konnten internationale Wettbewerbserfolge melden: Auer und Weber in Dalian, Leon Wohlhage Wernik in Kanton, Müller Reimann in Tschechien und Jo Franzke in Schanghai beispielsweise.
Auch in umgekehrter Richtung blieb Deutschland seinem Ruf als architekturimportfreudiges Land treu: Tadao Andos Bauten in Hombroich stehen dafür, David Chipperfield bekam neue Aufträge in Frankfurt und Hannover, Meiers Arp-Museum wird endlich gebaut, und die Eröffnung des Burda-Museums in Baden Baden, das Meier ebenfalls entworfen hat, gehörte zu den kulturellen Höhepunkten des Jahres 2004.
Auch die deutsche Provinz erweiste sich 2004 als fruchtbarer (Bau-)Grund für international bekannte Architekten: Peter Smithsons Museum in Lauenförde etwa und Coop Himmelblaus „BMW-Welt“ in München sind zu nennen.
In Deutschland war die Städtebaudebatte 2004 angesichts der rapide schrumpfenden Städte in Ostdeutschland und an der Ruhr von dem Thema „Schrumpfende Städte“ dominiert. Die demographische Entwicklung legt nahe, dass es sinnvoll und höchste Zeit ist, Konzepte für den Umgang mit schrumpfenden Städten zu entwickeln. Philipp Oswalts Projekt "Shrinking Cities" ist es zu danken, dass das Problem auf internationaler Ebene analysiert wurde.
Scheinbar im Widerspruch dazu steht ein anderer Trend: Gut drei Jahre nach dem 11. September 2001 scheint die schnell attestierte Hochhaus-Müdigkeit in der westlichen Welt endgültig verflogen zu sein: Am Ort des Geschehens selbst, in New York, wurden neuen Wolkenkratzer von Richard Meier, KPF, Cook+Fox, Gwathmey Siegel fertig- oder vorgestellt. Auch wurde erstmals ein eigenes Hochhaus-Museum in Manhattan eingeweiht. Calatravas Entwurf eines weißen Riesenhochhauses in Manhattan beweist sogar eine neue Lust am Wohnen in Hochhaus.
Unweit von Ground Zero, aber viel weniger beachtet, konnte sich Fumihiko Maki mit einem feinen Entwurf für ein neues UNO-Hochhaus durchsetzen. Aber auch in anderen himmelstürmenden Städten wie Toronto oder Chicago wurden 2004 neue Hochhauspläne, speziell für teure Condominiums, vorgestellt.
Auch in Deutschland sind diverse neue Hochhäuser geplant oder im Bau: In Köln und München entbrannte eine Debatte um neue Hochhäuser, die die von Dom und Frauenkirche dominierten Silhouetten der Städte nachhaltig verändern könnten. Während dessen werden in beiden Städten munter weitere Turmhäuser gebaut.
Das Zeil-Projekt Frankfurt von KSP, der Skyper von JSK und das Zürich-Hochhaus von Mäckler sind die drei neuesten Bereicherungen der Skyline von Mainhattan.
Um „Skyscraper“ und „Groundscraper“ sind anlässlich des Wettbewerbs für den Neubau der Europäischen Zentralbank, einem der interessantesten Projekte 2004 in Deutschland, Diskussionen entstanden.
Auch in London werden weitere Hochhäuser geplant wie die von Nicholas Grimshaw und Richard Rogers, der derzeit das höchste Haus der Stadt plant.
In Ostasien, wo von Hochhausmüdigkeit noch nie etwas zu spüren war, wird demnächst sogar das höchste Hochhaus der Welt, das „101 Building“ in Taipeh eingeweiht, während in Shanghai im Jahr 2004 der Grundstein für das neue „World Financial Center“ von KPF gelegt wurde, der seinem Konkurrenten in Taiwan den Titel schon bald abspenstig machen wird, nur um ihn schon wenig später an ein weiteres architektonisches Ausrufezeichen wie den Dubai-Tower, für den am 15. Dezember 2004 der Auftrag vergeben wurde, weitergeben zu müssen.
Ulf Meyer