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11.12.2020
Kunsthaus Zürich von David Chipperfield Architects
Interview zur Schlüsselübergabe
Heute fand die feierliche Schlüsselübergabe für den Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich statt. Den internationalen Wettbewerb hatten David Chipperfield Architects bereits 2008 gewonnen. BauNetz berichtete zuletzt ausführlich über das Richtfest 2018. Nun konnten wir mit dem Partner und Design Director Christoph Felger sprechen.
Interview: Florian Heilmeyer
Herr Felger, obwohl der Bau selbst innerhalb von vier Jahren relativ zügig voranging, sind nun doch zwölf Jahre seit dem Wettbewerb verstrichen. Warum hat es so lange gedauert?
Gute Dinge brauchen immer ihre Zeit, dessen ist man sich in der Schweiz noch bewusst. Man macht die Dinge dort sehr gründlich und transparent, unter Einbeziehung der Allgemeinheit, etwa bei der Volksabstimmung für die Erweiterung 2012. Denn letztlich ist es das Geld der Zürcher*innen, das wir ausgegeben haben. Dann gab es eine Pause von rund zwei Jahren, da die Klage eines Heimatschutzvereins zugelassen wurde. Dabei ging es um den Abriss zweier historischer Turnhallen der Alten Kantonsschule an der Rämistrasse und darum, dass die Platzierung eines so großen Neubaus am Heimplatz einen wesentlichen Eingriff in die historisch schützenswerte Substanz darstelle. So entstand eine knapp zweijährige Planungspause. Für uns war es trotz inhaltlicher Diskrepanzen eine interessante Erfahrung und ein beeindruckendes Beispiel praktischer Demokratie um die Frage, wem die Stadt gehört und wer bestimmt, wie sie aussieht und sich anfühlt.
Wenn ich heute die Wettbewerbszeichnungen mit dem Ergebnis vergleiche, finde ich nicht viele Unterschiede. Welche Veränderungen gab es?
Es waren tatsächlich vor allem Verfeinerungen und Präzisierungen. Die wesentliche Veränderung war wohl der Verzicht auf das Kunstdepot als Schaulager entlang der öffentlichen Wege unterhalb des Heimplatzes zwischen Alt- und Erweiterungsbau. Es gab gute Gründe dagegen, sowohl die Nachhaltigkeit betreffend – Stichwort graue Energie –, als auch sicherheitstechnische Einwände, ob unter einem viel befahrenen Platz die Sicherheit der Kunstschätze Zürichs gewährleistet werden könne. So gibt es nun kein öffentlich einsehbares Kunstlager. Und natürlich weiß man zum Zeitpunkt eines Wettbewerbs noch nicht genau, wie die Fassade am Ende wirklich aussieht. Nach intensiven Studien und 1:1-Fassadenmustern haben wir uns für Liesberger Jura-Kalkstein entschieden, der uns wärmer und lebendiger erschien als der Bollinger Sandstein des alten Kunsthauses, den wir ursprünglich verwenden wollten.
Wo Sie gerade von den Bezügen zum Altbau gegenüber sprechen, mit dem der Neubau über einen langen, unterirdischen Gang verbunden ist: Ihr Neubau muss nicht nur die zwangsläufige Gegenüberstellung mit dem mächtigen alten Kunsthaus von Karl Moser aus dem Jahr 1910 aushalten, sondern auch mit mit dem historistischen Schauspielhaus quer gegenüber. Wie bringen sich die Fassaden Ihres Gebäudes in diese neue Dreifaltigkeit des Platzes ein?
Zum einen mit der Klarheit und Setzung des Volumens, das eine schnörkellose räumliche Kante am nördlichen Heimplatz erzeugt. Wir hatten den Eindruck, je einfacher die Form ist, desto besser kann sie die divergierenden Architekturen am Heimplatz wie eine Art städtebauliches Rückgrat aufnehmen. Mit der Fassadengestaltung haben wir versucht, diese Haltung zu unterstützen, indem wir einen lokalen Naturstein einsetzten, der schon alleine der Materialität wegen Bezug zum bestehenden Kunsthaus aufnimmt. Die feine Gliederung durch vertikale Lisenen erzeugt eine räumliche Tiefe – gewissermaßen ein stadträumliches Flachrelief – das in seiner herausragenden Ausführung den Stellenwert dieses neuen Hauses im Kontext der älteren unterstreicht.
Gab es im gesamten Prozess positive Überraschungen?
Die erste positive Überraschung war der Gewinn des Wettbewerbs. Es war nicht einfach, ein Konzept zu finden, das die vielen divergierenden Anforderungen integriert. Offenbar war es die Einfachheit und Klarheit nicht nur der städtebaulichen Idee und oberirdischen Setzung, sondern auch der Fassade und der inneren Organisation, die überzeugte. Wobei es letztendlich bis zur Fertigstellung dauerte, um nicht nur die Fachleute davon zu überzeugen, dass das Haus weder zu groß noch zu traditionell oder ein Fremdkörper in Zürich sein würde. Unsere Erweiterung des Kunsthauses ist auf seine eigene Weise ein Zürcher Gebäude, das die Zürcher*innen sicher verstehen werden.
Was uns ebenfalls überrascht hat: Wie viel von dem, was wir uns am Anfang vorgestellt haben, genau so geworden ist. Im Wettbewerb sind unsere Ideen ja erst einmal ein Versprechen, an das wir uns in der Umsetzung auch selbst immer wieder erinnern müssen. Es gibt viele von Tageslicht durchflutete Räume, aber ich erfreue mich auch an der herausragenden handwerklichen Qualität, die wunderbare Detailmomente erzeugt. Das ist etwas, von dem ich glaube, dass es fast nur noch in der Schweiz so möglich ist – einem Land, das in vielen Bereichen noch von einem großen gesellschaftlichen Bewusstsein für Qualität geprägt ist.
Dabei war die Verwendung von Recycling-Beton eine Verpflichtung, die in Zürich für alle öffentlichen Bauvorhaben gilt. War das eine Einschränkung im Bezug auf diese handwerklichen Qualitäten?
Nein. Wenn man Nachhaltigkeitsziele wie die der 2000-Watt-Gesellschaft definiert, dann kommt man nicht umhin viele Hebel anzusetzen. Die Wiederverwertung von Beton ist einer davon. Darin ist die Schweiz wegweisend. Bei der Ausführung ging es darum, welche farbliche Atmosphäre wir mit dem hohen Anteil an recyceltem Beton erzeugen würden, da der Ortbeton das vorherrschende Material und im gesamten Gebäude sichtbar ist. Wir waren mit der Sorgfalt der ausführenden Firma Marti sehr zufrieden.
Wenn Sie nur ein Detail besonders herausheben dürften, das alles über das Gebäude selbst aussagt: Welches wäre das?
Die unmittelbare Erfahrung der Fassade sagt viel über die Bedeutung, die Würde und die Absichten dieses Gebäudes und seiner Stadt aus. Probieren Sie es aus, wenn Sie mal dort sind: Beim Annähern an die Fassade möchte man sie unweigerlich anfassen, sie hat etwas sehr haptisch Nahbares.
Und im Inneren?
Über allem steht die Idee von Klarheit und Einfachheit. Wir haben den Ortbeton als primäre Tragstruktur sichtbar belassen, aber mit einer thermischen Bauteilaktivierung versehen, die das Haus unter anderem über Sonden im Garten klimatisiert. So konnten haustechnische Anlagen reduziert werden. In den Ausstellungsräumen im ersten und zweiten Obergeschoss wünschten sich die Museumsleute jedoch eine White Box, dort haben wir mit dünnem Wand- und Deckenputz und massivem Eichenholzparkett gearbeitet. Für die Räume der Bührle-Sammlung gab es den Wunsch nach farbigen Wänden. Dort haben wir auf Höhe der Türdurchgänge, die mit Messingrahmen gefasst sind, eine dünne Messinglinie als Horizont etabliert, unter der die Wände mit Farbflächen „gefüllt“ werden können. Es entsteht meiner Meinung nach eine in unsere Zeit hinübergetragene Weiterentwicklung historischer Ausstellungssäle, wie wir sie auch im bestehenden Kunsthaus vorfinden, dort vor allem in den Räumen für die Kunst des Impressionismus und Expressionismus.
Gab es auch etwas, das nicht ganz so geworden ist, wie Sie es ursprünglich vorhatten?
Wenn es in unserer Macht gelegen hätte, hätten wir die Gestaltung des Heimplatzes weiter vorangetrieben. Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, dass die hellen Marmorplatten am Boden bis in den Außenbereich hinausfließen und dann abrupt aufhören. Dieser Bodenbelag ist ein Motiv, das wir ebenfalls vom alten Kunsthaus übernommen und es auf die andere Platzseite hinübergeführt haben. Wir hätten gerne den gesamten Heimplatz damit belegt und den Verkehr reduziert, um diesem urbanen Raum wirklich die Bedeutung eines „Tores der Künste“ zu geben. So ist es in dem 2007 festgelegten Masterplan Campus Central als Auftakt der Hochschul-Meile vorgesehen. Wir können nur die Bürger*innen Zürichs mit Nachdruck daran erinnern, das Ziel der Verkehrsberuhigung des Heimplatzes nicht aufzugeben.
Fotos: Noshe, Juliet Haller
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Blick von Südosten auf den 23.300 Quadratmeter Bruttogeschossfläche umfassenden Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich. Die Baukosten betrugen 191 Millionen Euro. Offizielle Eröffnung soll im Herbst 2021 sein.
Über die Fassade aus Liesberger Jura-Kalkstein sagt Partner und Projektleiter Christoph Felger: „Beim Annähern an die Fassade möchte man sie unweigerlich anfassen, sie hat etwas sehr haptisch Nahbares.“
In den Räumen der Bührle-Sammlung gibt es auf Höhe der Türdurchgänge eine dünne Messinglinie als Horizont, unter der die Wände mit Farbflächen „gefüllt“ werden können.
In weiten Bereichen des Hauses – wie hier in der Treppenhalle – kam Sichtbeton zum Einsatz, der zu einem gewissen Anteil aus recycliertem Beton besteht.
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