Dan Stubbergaard ist Gründer und Kreativdirektor des international erfolgreichen dänischen Planungsbüros COBE. Wir haben mit ihm über Kopenhagen, Berlin und die gesellschaftliche Rolle von Architekt*innen gesprochen.
Interview: Friederike Meyer und Carolin Lichtenstein
Herr Stubbergaard, Kopenhagen gilt zurzeit als eine der lebenswertesten Städte der Welt. Vor 15 Jahren sah das anders aus. Was hat diese Veränderung ermöglicht und wie waren Sie selbst daran beteiligt?
Dan Stubbergaard: Kopenhagen erlebte Anfang der 1990er Jahre eine postindustrielle Krise, die Stadt war bankrott und jeder, der es sich leisten konnte, zog aus der Stadt weg. Damals wurden einige wichtige politische Entscheidungen getroffen und der dänische Staat begann, in die Stadt zu investieren. Dadurch fasste auch die Stadt wieder Vertrauen in sich. Gleichzeitig hat sich die damals eher verschlafene Architekturszene von Kopenhagen neu sortiert. Es entwickelte sich ein anderes Verständnis davon, was Architektur leisten kann, wie sie vermittelt wird und welche Rolle Architekt*innen einnehmen. Kopenhagen bot eine Spielwiese, die mit ihrer Offenheit gegenüber jungen, unerfahrenen Büros einen Neuanfang für die ganze Stadt bot. Damals arbeitete ich mit Bjarke Ingels und Julien De Smedt bei PLOT, bevor ich 2006 COBE gründete. Es war großartig, Teil dieser Erneuerung zu sein.
Wie sieht es heute in Kopenhagen aus? COBE ist inzwischen ein international renommiertes Büro mit 150 Mitarbeiter*innen und damit eines der großen Büros in der Stadt.
Heute ist die Architekturszene in Kopenhagen weniger interessant. Es gibt großartige Büros, aber alle haben an Frische verloren. Diese Offenheit gegenüber jungen Architekt*innen, der Wille, auch mal ein Risiko einzugehen – das gibt es nicht mehr. Ich setze mich dafür ein, dass sich das wieder ändert. Junge Architekt*innen bringen wichtige neue Perspektiven ein.
Vor welchen neuen Herausforderungen steht Kopenhagen?
Kopenhagen muss sich neu erfinden. Wir haben viele Probleme gelöst, jetzt müssen neue Schritte definiert werden. Der Klimawandel und die CO2-Neutralität, die sich Kopenhagen zum Ziel gesetzt hat, werden auch in der Architektur Veränderungen hervorrufen. Ein weiteres Thema ist die Homogenität in der Stadt. Es fehlt an sozialer Diversität. Wir müssen aufpassen, dass die Verbesserungen der letzten Jahre nicht verloren gehen. Hier müssen sich auch Architekt*innen einmischen. COBE hat bislang vorrangig Wohnbauprojekte bearbeitet, die sich nur sehr reiche Menschen leisten können – etwa das SILO. Das wollten wir ändern und deshalb arbeiten wir gerade an einem günstigen Wohnungssystem.
Welche Rolle kommt den Architekt*innen heute zu?
Ich glaube, als Architekt*in hat man eine große Verantwortung. Mit Architektur kann man vielfältige Probleme lösen. Sie hat die Kraft, auch auf einer strukturellen Ebene Veränderungen anzustoßen. Ein Beispiel ist die Kids’ City Christianshavn, die wir zusammen mit NORD Architects realisiert haben. Aus finanziellen Gründen sollte eine große Institution für ungefähr 750 Kinder entstehen. Anfangs haben wir uns gefragt, ob man so etwas überhaupt bauen sollte. Aber dann haben wir die Aufgabe als Herausforderung gesehen und konnten eine wunderbare Umgebung für die Kinder kreieren. Wir haben die Architektur aus der Perspektive der Kinder gestaltet und den Ort als eine Stadt für Kinder konzipiert. Architektur kann zum Umdenken führen, sie kann ein politisches Werkzeug sein und damit viel Einfluss nehmen. Als Architekt*in sollte man sich gesellschaftlich einmischen. Man kommt nicht weit, wenn man nur schöne Häuser zeichnet – das ist meine Erfahrung aus den letzten 14 Jahren seit Bürogründung. Auch deswegen haben wir die COBE-Sessions ins Leben gerufen, in denen wir Raum für Debatten geben und als Architekten auf eine positive und konstruktive Weise mit politischen Entscheidungsträger*innen ins Gespräch kommen.
Wie kommen Sie mit der Bevölkerung ins Gespräch?
Es ist wichtig, auf Augenhöhe über Architektur zu sprechen. Oft sind Menschen besorgt, wenn in ihrer Nachbarschaft etwas Neues gebaut wird. Wir müssen gut erklären können, warum und wie das Neue das Bestehende verbessert. Dabei stehen nicht unbedingt Ästhetik oder Qualität im Vordergrund. Das wurde in Kopenhagen ganz gut gemacht. Ein Beispiel ist der Krøyers Plads – ein prominenter Ort am Hafen, für den es über zehn Jahre hinweg viele Entwürfe gab, von denen jeder vom Stadtrat abgewählt wurde. Als wir und Vilhelm Lauritzen Architects – mit dennen wir das Projekt gemeinsam erarbeitet haben – dazu kamen, haben wir nicht gezeichnet, sondern mit den Menschen vor Ort gesprochen. Wir wollten das eigentliche Problem verstehen. Schließlich haben wir eine Reihe von Regeln festgelegt, auf die sich alle einigen konnten. Danach erst begannen wir mit dem Entwurf und am Ende wurde unser Vorschlag angenommen.
Was könnte Berlin anders machen?
Berlin ist eine großartige Stadt, sie hat viele besondere Stadtteile. Die Vielfalt ist fantastisch! Leider wird diese nicht genug gewürdigt. Es liegt eine Art homogenes Gewebe über der Stadt. Zur Zeit wird viel entwickelt, aber oft unterstreichen die Projekte die Individualität der einzelnen Nachbarschaften nicht. Damit sich die lokale Bevölkerung damit identifizieren kann, muss ein öffentlicher Raum in Kreuzberg vielleicht ganz anders aussehen als in Charlottenburg. Die Berliner*innen haben eine starke Verbundenheit mit ihrer Nachbarschaft: In erster Linie bist du nicht Berliner*in, sondern kommst aus einem bestimmten Viertel in Berlin. Und damit sind Identifikation und auch Stolz verbunden. Die Architektur oder die Gestaltung eines öffentlichen Platzes sollten das hervorheben. Das Lesen des Kontexts und das Verstehen des Ortes stoßen bei COBE den kreativen Prozess an. Das ist unser Werkzeug.
[Anmerkung der Redaktion: Dies ist eine aktualisierte Textversion. Auf Wunsch des Büros wurden einige Angaben korrigiert und ein Absatz gestrichen.]
Zum Thema:
Bis zum 29. April 2020 ist im Berliner Aedes Architekturforum die Ausstellung „Our Urban Living Room“ von COBE zu sehen.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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auch ein | 25.02.2020 16:34 Uhrarchitekt
sehr schöne projekte
vielseitig, mit pfiff, immer "am richtigen ort"
weiter so!