Pastellfarbene Wohnblöcke, überdimensionale Bronzefiguren, symmetrisch angeordnete Blumenbouquets: Wer angesichts solcher Bilder an einen Wes-Anderson-Film denkt, liegt zwar nicht ganz richtig, denn es ist gebaute Realität, findet aber in Oliver Wainwright einen Gleichgesinnten. Dieser, seines Zeichens Architekt und Guardian-Journalist, reiste im Frühjahr 2015 in den nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel, um sich ein Bild von der Architektur und Innenarchitektur dieses rätselhaften Landes zu machen.
Überraschend für Wainwright: Die Hauptstadt Pjöngjang präsentiert sich erstaunlich farbig. Nachdem Pjöngjang im Koreakrieg durch Bombenangriffe der US-Armee dem Erdboden gleichgemacht wurde, erfolgte der umfassende Wiederaufbau der Stadt nach Vorstellungen von Staatsgründer Kim Il-sung als „großer Garten der Chuch’e Architektur“. Chuch’e – das ist die staatliche Ideologie der Eigenständigkeit, die Kim Il-sung formuliert hat. Fortan wurden theatralische architektonische Effekte erzeugt, vom Interieur bis hin zur umfassenden Gestaltung der Stadt selbst.
Wer durch Wainwrights Bildauswahl blättert, dem drängt sich der Eindruck auf, dass das Bauen in Nordkorea immer noch der Formensprache der 1970er- und 80er-Jahre verpflichtet ist und viele Gebäude fast schon unheimlich symboldbeladen daherkommen. Durch Gebautes verallgegenwärtigt das Regime bis heute seine Macht. So befinden sich die Nordkoreaner stets unter dem Blick von Gründungsvater Kim Il-sung und dessen Sohn, dem ewigen Vorsitzenden Kim Jong-il, die in Form gewaltiger Marmorstatuen, aufwändiger Mosaike oder prächtiger Wandbilder omnipräsent sind. 1991 veröffentlichte Kim Jong-il die Abhandlung „Über die Baukunst“, in der er seine Vorstellungen von Architektur darlegte. Seitdem wird unter anderem großzügig beseitigt, was an vergangene Zeiten vor Gründung der Volksrepublik zu erinnern vermag, seien es sowjetische Heizöfen oder ganze Straßenzüge.
Überschaubare Texte von Oliver Wainwright flankieren die Fotografien des Autors in einer Mischung aus Alltagsreportage und Geschichtsunterricht und erleichtern eine kontextuelle Einordnung der ausdrucksstarken Motive. In einigen Kommentaren allerdings offenbart sich Wainwright als gewissermaßen schaulustiger Betrachter, indem er sich dem Land vornehmlich über die Ästhetik nähert und damit in ein Schema verfällt, das eben keine Hintergründe (Inside North Korea) erfahrbar macht, sondern lediglich die Oberfläche abbildet. Angesichts der Tatsache, dass der Einsatz klassischer Elemente auch in Nordkorea aus der eigenen Tradition schöpft und selbst die spätmodernen Sowjetbauten im Land sich diese zu eigen gemacht haben, hätte dem wohl gestalteten Buch mehr Nüchternheit durchaus gut getan.
Text: Elisabeth Haentjes
Inside North Korea
Oliver Wainwright (Hg.)
Taschen Verlag, Juni 2018
Hardcover, 240 Seiten
ISBN 978-3-8365-7221-7
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
40 Euro
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Wes | 06.08.2018 11:51 Uhrunglaublich
danke, denke ist nur mode