Wie vielerorts hat Galeria Karstadt Kaufhof auch im niedersächsischen Celle eine ihrer Filialen geschlossen. Seit gut einem Jahr steht das 1964 nach Plänen von Walter Brune errichtete Gebäude mitten in der Altstadt leer. Ein Abriss steht im Raum. Für den Zusammenschluss Gemeinschaftswerk – Werkgemeinschaft kommt das nicht in Frage. Unter diesem Namen haben sich die drei Verbände Deutscher Werkbund Nord, der Bund Deutscher Baumeister und der Bund Deutscher Innenarchitektinnen und Innenarchitekten zusammengetan. Anfang des Jahres lobten sie einen offenen, interdisziplinären Ideenwettbewerb für mögliche Umnutzungen aus. „Alles kann, nur kein Abriss“, lautete die Maßgabe. Vor Kurzem wurden die Ergebnisse bekanntgegeben.
Eine Rückkehr zum klassischen Warenhaus könne laut Auslobung keine Lösung sein. Gleichwohl sollten die neuen Nutzungen wieder die Ankerfunktion ausfüllen, die Karstadt lange für kleinteilige Einzelhandelsstrukturen der Celler Innenstadt einnahm. Gefordert waren daher gemischte Programme, etwa mit gemeinnützigen oder öffentlichen Anteilen. In den über 200 eingereichten Vorschlägen fand sich ein Potpourri an Nutzungen: vom Gemüseanbau über ein Datencenter oder einem Haus der Demokratie bis hin zum offenen Strafvollzug. Die Jury unter Vorsitz der Architektin Anja Rosen kürte drei Preise und zwei Anerkennungen. Vier weitere Beiträge waren noch in der engeren Wahl. Die Auszeichnungen im Überblick:
- 1.Preis: RaumWerkCelle – Architekturstudierende Moritz Hoffart, Sebastian Uellner, Leonie Wolf mit Architektin Cilia Tovar, Architekt Maik Neumann, Ingenieur Christian Hillgärtner, Architekt Wolfgang Döring, Architekt und Künstler Thomas Vinson (alle Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen)
- 2. Preis: 700 Thesen/Haus der Demokratie – Architekt Felix Gehrke (Berlin) und Bildender Künstler Pascal Kapitza (Braunschweig)
- 3. Preis: Transformation Zelle/Celle – stadtfreund:innen: Innenarchitektur-Absolventinnen Wiebke Mühlhoff und Juliane Dieckmann mit Städtebau-Absolventin Mona Ebelt (alle Köln)
- Anerkennung: Vorratskammer – AG zilpzalp, Sarah Pens, M.Sc. Architektur und Städtebau mit Architekturstudierenden Jan Hüttmann, Annika Marie Gilles und Inga Jensen (u.a. Hannover, Weimar)
- Anerkennung: Das Speicher | Waren | Haus – TOMAS and Friends mit Architektinnen Katharina Neubauer, Sofia Ceylan, Projektentwicklerin und Architektin Annabelle von Reutern (alle Aarau) und Tourismusmanagerin Julia Laekamp (Essen)
Gewonnen hat keine der ungewöhnlichen Nutzungen, sondern ein Beitrag, der auf eine flexible Struktur und langfristige Anpassungsoptionen setzt. Im Erdgeschoss sieht der Entwurf
RaumWerkCelle eine Markthalle mit Shops und Cafés an den Flanken vor. Darüber hinaus wollen die Verfasser*innen das komplette Haus entkernen und ein dreistöckiges, begrüntes Atrium mit Stegen und Plattformen schaffen. Von dort sollen Büros, Wohnungen und ein Hostel erschlossen werden. Das Preisgericht sieht hier nicht nur eine Lösung für das Celler Gebäude, sondern attestiert dem Entwurf auch eine Übertragbarkeit auf andere leerstehende Kaufhäuser.
Celles Bürgermeister
Jörg Nigge (CDU) zeigte sich wenig überzeugt von den Beiträgen: Die Ideen seien „sehr interessant“, aber „das Ganze ist natürlich ein bisschen abseits der Realitäten“, zitiert ihn die
Cellesche Zeitung. Ein großes Manko sei, dass die Teilnehmer*innen den baulichen Zustand des Karstadt-Hauses nicht kennen würden, weil die Eigentümerin vom Immobilienunternehmen
Demire AG keinen Zutritt gewährt habe. Laut Nigge sei der Zustand sehr schlecht, unter anderem wegen größerer Mengen Asbest. Obwohl es kein umfassendes Gutachten gebe, würde eine Sanierung „im zweistelligen Millionenbereich“ liegen, sagt er. Die Stadt ist am Kauf der Immobilie interessiert.
Die Celler*innen zur aktiven Diskussion und Mitgestaltung anzuregen, sei jedenfalls gelungen, sagt
Ute Maasberg vom Werkbund Nord. Etwa 3.000 Besucher*innen haben die Ausstellung der Ergebnisse besucht, nun plane man eine Wanderausstellung.
(mh)
Zum Thema:
wggw.info
Wie sich Initiativen gegen Abrissvorhaben wehren und das Thema in die breite Öffentlichkeit bringen, zeigt ein ähnlicher Ideenwettbewerb rund um das Justizzentrum in München.
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Sieben | 27.07.2024 17:37 UhrAsbest
Wenn die Stadt wegen des Asbests kein Interesse an der Sanierung des Gebäudes hat, muss darauf hingewiesen werden, dass die Entsorgung des Asbests in jedem Fall anfällt, auch beim Totalabbruch des Gebäudes - was unbedarfte Politiker oder Konzernchefs aber nicht realisieren. Irgendwann gibt es dann ein böses Erwachen.
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