Großformatige Überbauungen mit konsequent gemischter Nutzung lagen schon einmal im Trend, in den 1970ern allerdings noch meist aus Beton. Im Einzugsbereich größerer europäischer Städte scheint diese Typologie nun mit einer gewissen Vehemenz zurückzukehren, wenn auch zunehmend mit „hölzernen“ Akzenten. In Böblingen wurde nun ein offener internationaler Wettbewerb zur Überbauung eines ehemaligen Areals der Post entschieden. Die kommunale Böblinger Baugesellschaft will hier in den nächsten Jahren auf rund 0,6 Hektar einen Stadtbaustein mit vielseitiger Nutzung errichten. Hinsichtlich des Programms war die Auslobung bewusst offen formuliert, nur ein Wohnanteil von 60 Prozent wurde explizit gefordert. Das Projekt entsteht als Teil der IBA27, die dem Stuttgarter Metropolenraum gewidmet ist. Insofern wollten sich die Verantwortlichen offensichtlich vom Ideenreichtum des Teilnehmerfeldes überraschen lassen. Gewonnen hat ein deutsch-spanisches Team mit den Büros Gutiérrez – De la Fuente Arquitectos und UTA Architekten und Stadtplaner . Das Ergebnis im Überblick:
- 1. Preis: Gutiérrez – De la Fuente Arquitectos (Madrid) mit UTA Architekten und Stadtplaner (Stuttgart)
- 2. Preis: hdg Architekten – Henninger und Lachenmann (Bad Kreuznach) mit Architekturbüro Podehl (Boppard) und bauchplan ).( (München)
- 3. Preis: Superwien Urbanism (Wien)
- Anerkennung: Steinhoff / Haehnel (Stuttgart)
- Anerkennung: studio2020 Matzat Henkel (Berlin)
Böblingen liegt sehr gut erschlossen südwestlich von Stuttgart und bildet mit dem Industriestandort Sindelfingen einen durchgehenden Siedlungsraum. Das Postareal befindet sich in der sogenannten Unteren Stadt zwischen historischem Zentrum und einem großen, gerade entstehenden neuen Wohn- und Gewerbegebiet namens Flugfeld. Der Bahnhof befindet sich direkt gegenüber des Wettbewerbsgebiets, und auch eine kleine Fußgängerzone sowie ein Einkaufzentrum gibt es hier. Keine schlechte Lage für ein Neubauprojekt, das sieben Tage die Woche für Leben sorgen soll. Ein Hochpunkt mit bis zu 60 Metern war dabei zwar nicht gefordert, aber durchaus als wünschenswert angesehen. Vorsitzender der Jury, der unter anderem auch der IBA-Intendant
Andreas Hofer,
Heidi Pretterhofer,
Jens Wittfoht und
Rebecca Chestnutt angehörten, war
Markus Müller. Müller ist Präsident der Baden-Württembergischen Architektenkammer.
Das Gewinnerprojekt von
Gutiérrez – De la Fuente Arquitectos und
UTA Architekten und Stadtplaner sieht drei Baukörper vor, die um ein „Stadtfoyer“ arrangiert sind. Ein kleines Wäldchen markiert den Zugang von der Bahnhofstraße her. Alle Volumen sind gemischtgenutzt, wobei das IBA-Thema der produktiven Stadt unter anderem mit mikro-urbanen Logistik-Bereichen und Co-Working-Spaces adressiert wird. Gemeinschaftliche und öffentliche Bereiche durchziehen die Gebäude auch in der Vertikalen, es wird außerdem eine große Vielfalt an Wohntypologien geboten. Geplant ist eine Holzhybridkonstruktion unter Verwendung von recyceltem Beton des alten Postgebäudes. Dem Entwurf gelinge es mit „wenigen, sehr wohl überlegten Mitteln eine überzeugende Lösung zu entwickeln“, so die Jury. Kritisiert wurde hingegen eine Überbetonung von Gastronomieflächen.
Mit drei Baukörpern arbeitet auch der zweitplatzierte Entwurf von
hdg Architekten mit dem
Architekturbüro Podehl und
bauchplan ).(. Die Grundkonfiguration sieht auch hier einen eigenständigen Binnenraum vor, der jedoch aus einer stärkeren Vernetzung der Volumen mittels eines Skywalks entsteht. Im Umkehrschluss führt dies aber zu einer recht deutlich ausformulierten Hofsituation, was im Zusammenhang mit dem Skywalk kontrovers diskutiert wurde.
Beim dritten Preis wählten die Architekt*innen von
Superwien Urbanism hingegen einen deutlich anderen Ansatz. Das Grundstück wird zur Bahnhofsstraße mit einem großen Platz geöffnet, der wiederum von zwei terrassierten Volumen flankiert wird. Das ergebe insbesondere gelungene Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Bereichen, so die Jury. Kritisiert wurde hier allerdings die allzu schematische Ausformulierung der Wohnungen. Die Verteilung der Nutzungen ähnelt dabei den anderen Projekten, aber hier wurde noch zusätzlich eine Markthalle integriert.
Alle prämierten Projekte zeigen sich ambitioniert, jedes der Vorhaben wäre ein Gewinn für Böblingen. Im nächsten Schritt werden die Pläne auf Basis des ersten Preises und im Dialog mit der Ausloberin sowie einem Beratungsgremium und Vertreterinnen aus der Bürgerschaft konkretisiert. Bei der Gebäudeplanung werden vielleicht auch weitere der prämierten Planungsbüro involviert. Zu hoffen ist, dass eine solch konsequente Mischnutzungen heute auch hierzulande besser angenommen wird als noch vor 50 Jahren. Insbesondere größere Wohneinheiten stehen dabei noch immer in Konkurrenz zum Einfamilienhaus, nicht zuletzt im Großraum Stuttgart. Umgekehrt darf man aber vermuten, dass es längst genügend Menschen gibt, die eine zentrale Lage mit außergewöhnlicher Verkehrsanbindung zu schätzen wissen und für die das Wohnen im Hochhaus nicht nur einem Mangel an Alternativen geschuldet ist, sondern die eine solche Lebensweise tatsächlich bevorzugen – vielleicht auch und gerade mit befreundeten Familien in der Clusterwohnung.
(sb)
Zum Thema:
Auch über weitere Projekte der Stuttgarter Stadtregionen-IBA wurde kürzlich entschieden, beispielsweise in Winnenden und Baknang.
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STPH | 21.05.2021 09:55 UhrEin Holzturm
Interessant beim 1. Preis die durchgehende, senkrechte wohl Holzstruktur mit vorspießenden Balkonplatten und Schaufenstern. Die Begrünung ist dann nur noch auflockernd und nicht mehr gestaltgebend. Ein bisschen wie Pullover links rum, eine Innenwand.