Hütten, Cabin, Tiny House – Namen gibt es mittlerweile viele, auch versprechen sie alle etwas anderes, doch die Frage bleibt, woher rührt die Faszination für diese simple Art der Architektur? Für dieses einfachste aller Häuser, das seinen Nutzern meist nicht mehr als grundlegendes Mobiliar wie Tisch, Stuhl und Bett in einem Raum oft nicht größer als 20 Quadratmeter anbietet?
Die Journalistin Petra Ahne erforscht in ihrem neuen Buch die mit der Hütte verbundenen gesellschaftlichen Projektionen, Wünsche und Sehnsüchte. Aus dem Motiv arbeitet sie weitaus mehr heraus als das träge Moment einer urbanen Mittelschicht, die zum Ausgleich des stressigen Alltags einen entschleunigten Rückzugsort sucht. Die Hütte bot Schutz und Obdach, grenzte den Menschen von der umgebenden Natur ab. Die Autorin benennt die Hütte, die unweigerlich Gefühle in uns auslöst, als Teil eines kulturellen Gedächtnisses.
Ahne strickt ein kulturessayistisches Narrativ, das von teils anekdotischen Abhandlungen zu historischen Hütten – erhaltenen, fiktiven und verschwundenen – sowie Erzählungen über deren Bewohner oder Theoriegeber reicht. Die 132 Seiten starke Lektüre beginnt mit Gedanken zur Urhütte von Vitruv, Eugène Viollet-le-Duc und Antoine Laugier. Und führt zu so ungewöhnlichen Bildern wie wie disem: Le Corbusier, leicht bekleidet und in Ledersandalen, der sich, während er sonst Städte aus Beton plant, am liebsten in seinem hölzernen cabanon an der Côte d’Azur zurückzog – wenn auch in Nachbarschaft zu Eileen Grays modernistischer Villa.
Steht das Haus erst einmal, wird auch seine Bedeutung divers. So die Blockhütten amerikanischer Pioniere, die die Eroberung eines ganzen Kontinents erst möglich machten und bis heute Teil des US-amerikanischen Gründungsnarrativs sind. Es kommen männliche Einzelgänger und Eremiten vor: Von Henry David Thoreau bis zum Unabomber Ted Kaczynski, der über 20 Jahre hinweg in seiner Hütte lebte und unentdeckt Briefbomben baute. Und mit der literarischen Figur der Lady Chatterly, für die eine Jagdhütte im Wald ein Ort der sexuellen Befreiung wird, zeigt sich das Motiv der Hütte auch in seinem emanzipatorischen und subversiven Potenzial.
Mit seiner grundlegenden Bedeutung für den Verlauf der menschlichen Zivilisation dient der Typus der Hütte immer wieder als Rück- und Ausblick für die Frage, wie wir eigentlich wohnen wollen und was unser Verständnis von der uns umgebenden sozialen Ordnung ist. Einen schönen Schlussgedanken findet die Autorin für ihre reiche und distinktive Sammlung an Hütten-Beispielen: Nach Jahrhunderten erzählt die Hütte nicht nur von der Notwendigkeit, sondern auch von der Freiheit sich einzuschränken.
Text: Kim Gundlach
Hütten. Obdach und Sehnsucht
Petra Ahne
132 Seiten
Matthes & Seitz Berlin, 2019
ISBN: 978-3-95757-710-8
28 Euro