Von Christian Schittich
Langezeit konzentrierte sich das Architekturgeschehen in China auf die rasant wachsenden Städte, wohin die Menschen aus der Provinz seit den Wirtschaftsreformen der 1980er Jahre strömten. Das Land und vor allem der dortige Baubestand wurden vernachlässigt. Fast überall verfielen die alten Häuser und wurden durch vermeintlich komfortablere, gesichtslose Neubauten ersetzt.
In allerjüngster Zeit wandelt sich das Bild. Führende Architekten gleichermaßen wie die Repräsentanten der regionalen Verwaltungen besinnen sich auf ihr baukulturelles Vermächtnis und setzen nun alles daran, soviel wie möglich zu erhalten. Parallel dazu versucht die Regierung die massive Landflucht zu bremsen und ergreift Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, die wirtschaftliche Situation der Menschen in den Dörfern und damit deren Lebensqualität zu verbessern. Dieser Paradigmenwechsel spiegelte sich auch in dem viel beachteten chinesischen Beitrag „Building a Future Countryside“ auf der Architekturbiennale 2018 in Venedig wider.
Viele der initiierten Projekte zielen auf die Förderung eines sanften Tourismus, weshalb gerade allerorten kleine individuelle, in den Bestand und die dörfliche Struktur integrierte Hotels entstehen. Auch das Wuyuan Skywells Hotel ist in diesem Zusammenhang zu sehen, allerdings kam es allein durch private Initiative zustande. Ein junges gemischtethnisches Aussteigerpaar aus der Finanz- und Designwelt von Shanghai verliebte sich in einem Dorf im Kreis Wuyuan in Jiangxi in ein altes, baufälliges Haus und kaufte es, um darin ein 14 Zimmer umfassendes Gästehaus zu betreiben.
Um das 300 Jahre alte Gebäude möglichst originalgetreu wiederherzustellen, engagierten sie das Architekturbüro anyScale aus Peking und trieben den buchstäblich letzten Zimmermann in der Region auf, der noch Erfahrung im Bau solcher Häuser hat und nun die Gelegenheit erhält, seine Kenntnisse an die nächste Generation weiterzugeben. Wie in China üblich, findet sich auch hier hinter den dicken, weiß verputzten Außenmauern eine freistehende, tragende Holzkonstruktion. Der schmale Hof mit Brunnen ist in dieser Region so eng ausgelegt, dass er die direkte Sonneneinstrahlung fernhält, aber genug Regen über die Dächer hereinlässt. Denn das Wasser, das über den „Himmelsbrunnen“ (tian jing – oder auf Englisch skywell) in das Gebäude fällt, ist nicht nur ein lebensnotwendiges Gut, sondern bringt der Überlieferung zufolge auch Wohlstand und Glück ins Haus.
Unbehandeltes Holz ist das bestimmende Material im Inneren, überall liegt dessen Geruch in der Luft. Die traditionelle Dachkonstruktion ist in den Gästezimmern offen sichtbar, die Einrichtung, teilweise aus alten Möbeln, dazu passend und stilvoll. Notwendige Ergänzungen geben sich zurückhaltend modern. Auch die beiden einzigen zeitgemäßen Ergänzungen, die sich von außen abzeichnen, sind gefühlvoll integriert – ein verglaster Gemeinschaftsraum auf dem nördlichen Anbau sowie das neue Restaurant aus dunkel lackiertem Stahl und Glas, das weitgehend hinter der hohen Gartenmauer verschwindet. Abgelegen in einem Dorf mitten auf dem Land, bietet das kleine Gästehaus einen idealen Rückzugsort für Chinas neue Mittelschicht, die zunehmend versucht, für wenigstens ein paar Tage im Jahr dem Smog und Chaos der Metropolen zu entfliehen.
Fotos: Marc Goodwin
Zum Thema:
Zum Thema Landentwicklung in China erschien die BAUNETZWOCHE#510 „Kluge Akkupunktur in chinesischen Dörfern“.
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Pekingmensch | 12.04.2019 05:16 UhrPrima!
Sehr schoenes Projekt - zurueckhaltend, sensibel und zeitgenoessisch. Sehr gut!