Am Sonntag, den 3. März 2024 eröffnete in Amsterdam das Nationaal Holocaustmuseum. Das erste derartige Museum der Niederlande befindet sich in zwei sehr unterschiedlichen historischen Gebäuden an der Plantage Middenlaan im östlichen Stadtzentrum, zwischen Botanischem und Zoologischem Garten. Den Entwurf für den Umbau beider Häuser liefert Office Winhov (Amsterdam), die mit einer zurückhaltenden Gestaltung den Wettbewerb 2019 gewinnen konnten.
Das auffälligere der beiden Gebäude ist die Hollandse Schouwburg, ein Theater aus dem Jahr 1892. Der Entwurf mit seiner streng neoklassizistischen Fassade zur Straße stammte von Cornelis Bombach. Da es ein stark jüdisch geprägter Betrieb war, wurde es unter deutscher Besatzung 1941 erst zur Joodsche Schouwburg umbenannt, in der nur noch Menschen jüdischen Glaubens arbeiten und zuschauen durften. Ein Jahr später riss man den Theatersaal im Inneren ab. Weil er einfach zu verdunkeln war und Platz bot, diente der Bau nun als gut bewachte Sammelstelle für Jüdinnen und Juden vor ihrer Deportation.
Insgesamt wurden bis Ende 1942 aus Amsterdam 102.000 Menschen deportiert, die meisten von ihnen sind in Konzentrationslagern ermordet worden. Für so viele Menschen war das Theater dann doch zu klein, sodass man Kinder von ihren Eltern trennte und in einem jüdischen Schulgebäude auf der anderen Straßenseite, der sogenannten Hervormde Kweekschool, unterbrachte. Einem kleinen Netzwerk von Widerstandskämpfer*innen gelang es, etwa 600 Kinder zu befreien. Sie wurden heimlich aus dem Schulgebäude gebracht, entweder über eine rückseitige Mauer oder direkt über die Straße, wenn vorbeifahrende Straßenbahnen die Sicht der Wachtposten vor dem Theater verdeckte. Gleichzeitig ließ man die Akten der Kinder aus dem Theaterbüro verschwinden, sodass es keine Aufzeichnungen mehr gab.
Die Schouwburg wurde 1962 zum Gedenkort umgebaut. Dazu riss man das verfallene Theatergebäude ab, alleine die Fassade blieb stehen. Dahinter wurde ein stiller Raum des Erinnerns mit einer ewigen Flamme angelegt, ein offener Hof mit zwei Wandelgängen und einer monumentalen Stele. Die Kweekschool auf der anderen Straßenseite wurde noch bis 2011 als Schule für Lehrkräfte und Kunstunterricht genutzt. Danach wurden beide Gebäude dem Jüdischen Museum übergeben, das darin ein temporäres Holocaust-Museum eröffnete. Daraus ist nun eine dauerhafte Einrichtung geworden.
Im Zuge des dafür vorgenommenen Umbaus wünschte sich das Museum einen hellen, lichtdurchfluteten Ort. „Wir haben versucht“, so Direktor Emile Schrijver, „die dunkle Bildsprache zu vermeiden, die sonst Holocaust-Erinnerungen prägt.“ Der Entwurf von Office Winhov konzentrierte sich weitgehend darauf, die Räume zum einen von Einbauten zu befreien und zum anderen eine klare Erschließung mit vielen Blickbeziehungen zwischen Innen- und Außenräumen und den beiden Gebäuden herzustellen.
Die Ausstellungsräume liegen in der Kweekschool. Dazu wurde dem Haus ein neuer Anbau zur Seite gestellt, der Eingang, Foyer, Treppenhaus und Aufzug aufnimmt. Seine zeitgenössische Fassade aus weißen Backsteinen ist vom Stil der Amsterdamse School und speziell vom Erscheinungsbild der alten Amsterdamer Synagoge am Obrecht-Platz inspiriert. In dem früheren Schulgebäude wurden fast alle nach 1952 vorgenommenen Einbauten entfernt, damit die alten Klassenräume wieder zum Vorschein kommen. Auch die ursprüngliche Dachform stellte man wieder her. Ebenso wurde der rückseitige Hof von jüngeren Einbauten befreit. Nun ist die Gartenmauer wieder sichtbar, die als eine der Fluchtrouten für die jüdischen Kinder diente. Ein eingeschossiger Pavillon mit raumhohen Fensterscheiben bietet hier einen Veranstaltungs- und Ausstellungsort, in dem mit direktem Blick auf die Mauer die Geschichten der Kinder und ihrer Retter*innen erzählt werden können. (fh)
Fotos: Stefan Müller, Max Hart Nibbrig
Zum Thema:
Nationales Holocaust-Museum der Niederlande
Mehr zum feinfühligen Umgang mit aufgeladenen Räumen in der Ausgabe Sensible Gestaltung bei baunetz CAMPUS
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T-Rex Lobinger | 28.03.2024 13:40 UhrStill
Das ist aber mal ein angenehm stilles Haus. Ich war gestern drinnnen, v.a. wegen dieser Meldung im baunetz, insofern vielen Dank für den Tipp. Ich finde die Architektur beider Häuser überaus angenehm. Sie nimmt sich nicht so wichtig wie andere Häuser, die mit dem Holocaust umgehen und die ja meist aus allerlei scharfkantigen Winkeln bestehen, die man kaum anfassen möchte oder mit Räumen, die so überladen sind, dass man es nicht lange aushalten mag. Hier hingegen bleibt man gerne etwas länger und liest und hört die Geschichten der Ausstellung an. Grüße aus Amsterdam!