Alte Gemäuer sind meistens ebenso anziehend wie unnahbar: Die Konstruktion ist in Grundzügen vertraut, die Materialien bekannt, der handwerkliche Aufwand heute allerdings schon kaum mehr nachvollziehbar. Zarter Zerfall und geduldig angehäufte Patina legen darüber hinaus einen Mantel der Nostalgie über alle Fragezeichen, die zwischen den Balken und Gewölben, unter Schwellen und Schichten lauern.
Wie bereichernd es sein kann, diesen Schleier zu lüften, beweist das Buch Historische Baukonstruktionen von Christian Kayser. Anders als in vergleichbaren Lehrbüchern wird hier das Wissen um Tragwerke, Verbindungen und Materialien nicht in trockene Diagramme oder Formeln gepackt, sondern für Laien der Bauforschung anschaulich und verständlich präsentiert.
Die Beiträge sind jeweils einem von sechs Kapiteln zugeordnet: Mauerwerk, Holzbau, Bögen und Gewölbe, Dachkonstruktionen, Eisen und Eisenbeton sowie Innenausbau und feste Ausstattung. Grundlage des Werkes ist eine Serie, die zuerst im Heftteil „Metamorphose“ der Architekturzeitschrift db deutsche bauzeitung veröffentlicht wurde. Der Autor hat die Beiträge für die Publikation bearbeitet und einige neue Themen ergänzt, Länge und Aufbau aber beibehalten: Auf Grundlagen und gebaute Beispiele folgen typische Schadensbilder und Hinweise zu deren Behebung.
Als erfahrener Bauforscher und Gutachter ist Kayser bereits durch zahlreiche Dachstühle geklettert. Im Buch räumt er – bildhaft gesprochen – Hindernisse beiseite und erlaubt unter anderem den Blick hinter Holz- oder Drahtputzgewölbe – eher unbekannte Bauweisen, die sich dem Laien nicht immer als solche offenbaren. Er öffnet historische Holzbalkendecken und präsentiert mitunter barocke Doppelkonstruktionen, die mit zwei tragenden Balkenlagen und damit einer Entkopplung von Boden und Decke einhergehen.
Sogar der Beitrag zu Gründungen weiß zu fesseln: Wie sieht eine Pfahlgründung genau aus, wie wurde sie in den Boden eingebracht, wie die Zwischenräume verfüllt? Der Autor spickt die Informationen mit Anekdoten, etwa zum Ostchor des Mainzer Doms, dessen Pfahlgründung morsch wurde, als der Grundwasserspiegel infolge der Rheinregulierung sank. Weitere Einschübe – beispielsweise zum sogenannten Feierabendziegel, der von den Handwerkern mit Handabdrücken, eingeritzten Figuren oder gar Phallusdarstellungen versehen wurde – lassen es im ganzen Buch immer wieder menscheln.
„Man schützt nur, was man liebt, und man liebt nur, was man kennt“, so das von dem Zoologen Konrad Lorenz geborgte Motto des Buches. Durch die eingängige und ansprechende Vermittlung schult das Werk – das ganz ohne Fußnoten auskommt – das Sehen und trägt damit zum Erhalt des historischen Bestands bei.
Text: Cordula Klein
Historische Baukonstruktionen. Eine Einführung. Erkennen, Verstehen, Erhalten.
Christian Kayser
272 Seiten
Schnell & Steiner, Regensburg 2024
ISBN 978-3-7954-3946-0
25 Euro