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20.09.2019

Die Kinder vom Frankfurter Börneplatz

Hessischer Kulturpreis für Wolfgang Lorch und Andrea Wandel


Er ist der höchstdotierte Kulturpreis der Bundesrepublik Deutschland. Heute, am 20. September werden Andrea Wandel und Wolfgang Lorch mit dem Hessischen Kulturpreis 2019 ausgezeichnet.

Von Enrico Santifaller


„Die Vergangenheit bewahren, statt mit dem Bagger drüberfahren“: So lautete eine der Parolen jener meist jungen Leute, die Ende August 1987 den Frankfurter Börneplatz besetzten. Fast vier Jahrzehnte lang war dort ein wüstes Stück Land gewesen, das gerne zum Parken benutzt wurde. Doch während der Bauarbeiten zur neuen Kundenzentrale der Frankfurter Stadtwerke waren Fundamente des jüdischen Ghettos aufgetaucht. Die Stadtverordneten entschieden, trotzdem zu bauen. Die Frankfurter waren gespalten, eine Bürgerinitiative besetzte das Baugrundstück, erläuterte den Passanten die Zeugnisse des verdrängten Kapitels Frankfurter Stadtgeschichte – bis am 2. September 1987 ein Polizeikommando gewaltsam den Platz räumte. Schlagzeilen in internationalen Zeitungen. Erstmals nach dem Holocaust wurde in Deutschland über die Frage gestritten, wie mit baulichen Zeugnissen deutsch-jüdischer Geschichte umzugehen sei. Der Konflikt um den Börneplatz veränderte die Republik.

Er war zugleich die Geburtsstunde eines Architekturbüros, das wie nur wenige in Deutschland sich einerseits Erinnerungsorten an die Schrecken der Nazizeit und andererseits dem Bau von Synagogen widmete. Noch als Studenten an der TU Darmstadt, arbeiteten Andrea Wandel, Wolfgang Lorch und Nikolaus Hirsch an einem Entwurf für den Ende 1987 ausgelobten Wettbewerb „Gedenkstätte Neuer Börneplatz“. Sie setzten sich über Wettbewerbsvorgaben hinweg, rückten den alten jüdischen Friedhof an der Battonnstraße ins Zentrum des Entwurfs, gewannen unter 247 Teilnehmern einen zweiten Preis – und durften bauen. Zur Eröffnung neun Jahre später war den jungen Architekten ein eindrucksvoller Erinnerungsort gelungen: An der rund 300 Meter langen Friedhofsmauer ließen sie 11.134 kleine, 4 Zentimeter hervorstehende Stahlblöcke ein und versahen diese mit den Namen von ermordeten oder in den Tod getriebenen Frankfurter Juden. Alte Gebäudeteile, die das 1993 eröffnete Museum Judengasse nicht benötigte, stapelten sie zu einem seltsam transportfähig anmutenden Kubus und umgaben ihn mit einem  Platanenhain. „Hier wurde kein Platz besetzt, sondern in der Frankfurter Innenstadt ein Raum geschaffen, der sowohl Erinnerung ermöglicht als auch Zukunft aufzeigt, kommentierte Kasper König, ehemaliger Rektor der Städelschule, die Arbeit der jungen Baukünstler.

Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat jüngst ähnliche Worte benutzt als er erklärte, die Arbeit von Wandel und Lorch habe bedeutende Orte für den Dialog zwischen den Kulturen geschaffen, Geschichte einen Raum gegeben und Grundsteine für das jüdische Leben in Deutschland gelegt. Und damit jüdischen Bürgern „wieder eine Heimat und damit auch eine Zukunft in unserem Land gegeben“. Am 20. September wird Bouffier das Duo mit dem Hessischen Kulturpreis 2019 auszeichnen, der mit 45.000 Euro dotiert ist.

Der Börneplatz war nur der Anfang. Nachdem Wandel und Lorch am Berliner Bahnhof Grunewald und für die zerstörte Synagoge in Bensheim weitere eindrucksvolle Mahnorte schufen, gelang ihnen mit Nikolaus Hirsch, Rena Wandel-Hoefer und Andreas Hoefer ein weiterer großer Wurf: die Neue Synagoge und das Gemeindezentrum in Dresden. „Wir haben uns nicht auf diese Bauten spezialisiert, aber die architektonische Auseinandersetzung mit diesen Orten und deren, vielfach verschwiegener Geschichte, die interessiert uns“, sagt Wolfgang Lorch, heute Professor an der TU Darmstadt. Das Büro hat – mit Standorten in Saarbrücken und Frankfurt – Hochhäuser gebaut, Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Hotels, Kirchen. Und manchmal alles zusammen wie in Hamburg, wo sie in der HafenCity die profanen Nutzungen eines Wohn- und Geschäftsgebäudes mit einem Ökumenischen Zentrum verknüpften.

In München bauten Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch ein jüdisches Zentrum, in Bayreuth restrukturierten sie die Synagoge, deren Baukörper wegen der unmittelbaren Nähe zum Markgräflichen Opernhaus die Nazis nicht zerstörten, und errichteten eine neue Mikwe. In Stuttgart befassten sie sich mit den Tätern: Das Hotel Silber, ursprünglich als Gasthaus errichtet, war von 1938 bis 1945 Landeszentrale der Geheimen Staatspolizei für Württemberg und Hohenzollern. In diesem Gebäude, das einem Shopping Center weichen sollte und von einer Bürgerinitiative vor dem Abriss gerettet wurde, schufen Wandel und Lorch – nun mit neuen Partnern – einen „Lern- und Erinnerungsort“, der gerade durch seine Behutsamkeit und Unaufgeregtheit besticht.

War in Stuttgart Zurückhaltung geboten, errichteten Wandel und Lorch am Rand des Hunsrücks in Hinzert ein Gebäude als baulichen Störfall, als visuelle Nötigung, was in der Fachpresse nicht unkritisiert blieb. Die Architekten ließen über 3.000 Dreiecke aus Cortenstahl zu einem verdrehten, verbeulten, geknickten und gekrümmten  Gebäude zusammenschweißen, das eher einem Stück deformierter Technik gleicht und in seiner bizarren Form an die Ereignisse während der Nazizeit erinnert.

Weil Zeitzeugen immer weniger werden, spielen Gedenkstätten, deren konkrete Ausgestaltung unter immer wechselnden Bedingungen Wandel und Lorch meisterlich beherrschen, eine wichtige Rolle in der Erinnerung an Terror und Schrecken der Jahre zwischen 1933 und 1945. Insofern ist die Entscheidung des Hessischen Ministerpräsidenten, beide Architekten mit dem höchst dotierten Kulturpreis der Bundesrepublik Deutschland auszuzeichnen, zu begrüßen. Gerade in Zeiten, in denen die Gefahr von Rechts nicht nur diskutiert wird, sondern real besteht. Unverständlich bleibt allerdings, warum nur Wandel und Lorch und nicht auch Hoefer, Wandel-Hoefer und Hirsch, deren Beiträge integrale Bestandteile dieses Œuvres sind, trotz Anfragen prominenter Frankfurter Intellektueller für den Preis unberücksichtigt blieben.


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WANDEL LORCH GÖTZE WACH


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Andrea Wandel

Andrea Wandel

Wolfgang Lorch

Wolfgang Lorch

Die Synagoge in Dresden entstand 2001 nach Plänen von Wandel Hoefer Lorch + Hirsch.

Die Synagoge in Dresden entstand 2001 nach Plänen von Wandel Hoefer Lorch + Hirsch.

Die Gedenkstätte am Frankfurter Börneplatz entstand nach Plänen von Andrea Wandel, Wolfgang Lorch und Nikolaus Hirsch, die 1988 den Wettbewerb gewonnen hatten.

Die Gedenkstätte am Frankfurter Börneplatz entstand nach Plänen von Andrea Wandel, Wolfgang Lorch und Nikolaus Hirsch, die 1988 den Wettbewerb gewonnen hatten.

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