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28.10.2016
Kulturscheune für die Hauptstadt
Herzog & de Meuron gewinnen am Kulturforum
Von Dina Dorothea Falbe
„Dieser Entwurf denkt Museumsarchitektur völlig neu und wird Geschichte schreiben“, prophezeite Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Wettbewerbsgewinner für das Museum des 20. Jahrhunderts auf dem Berliner Kulturforum. Die Begeisterung schienen alle anwesenden Redner auf der gestrigen Veranstaltung zum Wettbewerbsentscheid zu teilen, obwohl die projizierte Visualisierung nur undeutlich ein großes Haus mit Satteldach zeigte.
Nach dem komplizierten wie umstrittenen Auswahlverfahren stehen nun endlich Preisträger fest. Groß war offenbar der Druck der internationalen Beobachtung: Den Verantwortlichen sah und hörte man die Erleichterung an, dass trotz des Risikos der Teilnahme einiger Newcomer mit Herzog & de Meuron ein erfahrenes, für seine Museen geradezu berühmtes Büro das Rennen gemacht hat. Die Jury unter der Leitung von Arno Lederer vergab folgende Preise:
- 1. Preis: Herzog & de Meuron (Basel) und Vogt Landschaftsarchitekten (Zürich)
- 2. Preis: Lundgaard & Tranberg Arkitekter (Kopenhagen) und Schønherr (Kopenhagen)
- 3. Preis: Bruno Fioretti Marquez Architekten (Berlin) und capatti staubach Landschaftsarchitekten (Berlin)
- Anerkennung: OMA – Office for Metropolitan Architecture (Rotterdam) und Inside Outside (Amsterdam)
- Anerkennung: Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa / SAANA (Tokio) mit Bureau Bas Smets (Brüssel)
- Anerkennung: Staab Architekten (Berlin) und Levin Monsigny Landschaftsarchitekten (Berlin)
- Anerkennung: Aires Mateus e Associados (Lissabon) und Proab (Lissabon)
Das Statement von Jacques Herzog, weder mit der Abstraktion von Mies, noch mit der Verspieltheit von Scharoun konkurrieren zu wollen, zeigt, wie stark der Entwurf in gewisser Weise auch durch Negation bestimmt wird – denn für fast alle Büros war die Frage zunächst mal, was am Kulturforum alles nicht geht. Insofern reiht sich die Entscheidung ein in den langen und komplizierten Kompromissfindungsprozess, der diesem Wettbewerb zugrunde liegt. Auslober und Jury sind froh, einen Entwurf gefunden zu haben, in dem sie die gewünschte respektvolle Setzung in der Stadtlandschaft mit der „starken Form“ eines Archetypus und einem großen Namen verbunden sehen.
Der mit Glasbausteinen durchsetzte Backsteinkörper des Hauses verbindet klassische Themen der Schweizer Weltstars. Mit dem Schaudepot für das Vitra Museum in Weil am Rhein konnten die Architekten konkret bereits die Wirkung des reduzierten Satteldachhauses aus Ziegel erproben. Den konzeptionellen Wandel von der leuchtenden Kiste zum subtileren Backstein illustrieren Herzog & de Meurons Entwürfe für das Duisburger Museum Küppersmühle oder die kürzlich fertiggestellte Erweiterung der Tate in London. Und im Dunkeln leuchten auch Elbphilharmonie oder Allianz-Arena.
Mies, Scharoun und auch Stüler zeigen eine starke architektonische Vision, aus der sie ihre Ideen für den Ort beziehen. Angesichts der Rhetorik changierender Bedeutungszuschreibungen von „Festzelt, Markthalle oder Tempel“ bei Lederer und „Scheune, Bahnhofshalle und Depot“ bei Herzog fällt es schwer, im Siegerentwurf dieses Wettbewerbes eine ähnlich klare Vision zu erkennen. In einer Zeit, in der sich der Stadtmarketing-Effekt von Star-Architektur nach vielen Kopien ernsthaft erschöpft zu haben scheint, in der Architekten wie David Chipperfield stattdessen mit Sanierungsprojekten glänzen und Rekonstruktionen die stärksten städtischen Neubauprojekte zu sein scheinen, ist die Lösung aber vielleicht einfach nur zeitgemäß.
Im Scharoun’schen Sinne ist das Kulturforum eine Landschaft in der sich die Passanten zu Fuß, aber auch im motorisierten Verkehr der Architektur auf unterschiedliche Weise nähern. Weder die Abschottung gegenüber der Straße und damit auch der Staatsbibliothek noch die weggeduckte und dadurch nicht greifbare Lösung, wie sie viele Arbeiten im Ideenwettbewerb zeigten, hätten den Ort also in diesem Sinne verwandelt. Der Entwurf von Bruno Fioretti Marquez repliziert die Kubatur der Neuen Nationalgalerie, die Amöbe von Lundgard + Tranberg hat man irgendwo schon mal gesehen, ebenso wie den schwebenden Kubus von Aires Mateus. Während der Entwurf von OMA die Landschaft dann in eine Pyramide verwandelt hat, haben Herzog & de Meuron diese einfach nach innen verlegt: ihre „Scheune“ gliedern sie durch zwei sich kreuzende „Boulevards“ in vier Abschnitte.
Das Museum der Zukunft gilt heute als ein gesellschaftlicher Aufenthaltsort. Die Begegnungsräume unter das übergroße Satteldach zu holen und dort eine Mall entstehen zu lassen, erinnert an ein Shopping Center – ein Konzept, das neben Kommerzialisierung immer auch für soziale Begegnungen und sogar architektonische Erlebniswelten stehen kann. Diese Idee passt irgendwie zum Titel „Museum des 20. Jahrhunderts“ und muss nicht schlecht sein, wenn das Versprechen, dort soweit möglich öffentliche Raumqualitäten bereitzustellen, tatsächlich eingelöst wird. Da sich allerdings die städtischen Qualitäten allein im Inneren aufspannen, besteht bei der aktuellen Setzung des sehr flächenintensiven Baukörpers aber doch ein Konflikt mit der Wahrnehmbarkeit der benachbarten Solitäre.
Gerade die räumliche Beziehung zur Matthäuskirche, deren Farbigkeit die Mauern des Neubaus aufnehmen sollen, wirkt wenig sensibel. Obwohl sich der Baukörper auch auf die Materialität des Kunstgewerbemuseums und des Grafikkabinetts bezieht, steht er mit seinem großen Fußabdruck im Kontrast zu diesen Elementen, die als einzige nicht dem Konzept der freistehenden Solitäre entsprechen.
Eigentlich hat den Wettbewerb also eine plakative und gleichzeitig angepasste Idee gewonnen – „kongenial“ zu den umliegenden Bauten, wie von den lobenden Rednern behauptet, oder nicht – muss sie letztlich in der von allen Seiten angekündigten gemeinsamen Konkretisierung von Architekten und Kuratoren überzeugen. Dabei darf Architektur nicht auf ein Bild reduziert werden.
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1. Preis: Herzog de Meuron mit Vogt Landschaftsarchitekten
2. Preis: Lundgaard + Tranberg Arkitekter mit SCHOENHERR
3. Preis: Bruno Fioretti Marquez mit capatti staubach
Anerkennung: OMA mit Inside Outside
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