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23.11.2018

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Buchtipp: Stille Architektur

Hermann Czech. Architekt in Wien


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Könnte sein, dass wir es hier mit einer Weltpremiere zu tun haben. Oder wie viele Architektenmonographien kennen Sie, die einen Fliesenspiegel als Titelbild haben? Eben.

Bei Hermann Czech macht das absolut Sinn. Denn hier geht es um’s Detail, um Rhythmus und Struktur, und gleichzeitig auch noch um die Geschichten und Bedeutungsebenen, die dahinter stecken. Die Architektin Eva Kuß hat sich die Mühe gemacht, diese aufzuspüren und für uns sichtbar zu machen. Der Fliesenspiegel auf dem Cover zeigt zum Beispiel den Fußboden im Antiquariat Löcker: Um in den bestehenden Räumen einen Anschein von Zufall und gewachsenen Strukturen zu erwecken, ließ Czech die Steinplatten mit 50 x 51 Zentimeter gerade nicht quadratisch schneiden und in den nicht rechtwinkligen Räumen diagonal verlegen. So entstehen kleine Störungen im Muster, die gefüllt wurden als ob sie „geflickt“ werden mussten, die sich aber gleichzeitig präzise wiederholen.

Wer sich nun denkt: Das ist doch nur so ein kleines Detail und das merkt doch keiner – der ist in diesem Buch völlig falsch! Denn hier geht es um’s Große genauso wie um’s Kleine und wie sich das eine im anderen zeigt. Und wie sich genau darin ein wunderbar ganzheitliches Architekturverständnis zeigt, eine Liebe zur Gestaltung die selbstverständlich auch alle Details denkt. So öffnet der Fliesenspiegel im Antiquariat Löcker eben einen kompletten Kosmos aus bau- und kulturgeschichtlichen Referenzen: In der Suche nach einem rhythmisch aufregenden Raster zeigt sich ein sanfter Widerstand gegen die Monotonie der Moderne genauso wie Czechs langjährige Beschäftigung mit Josef Franks „Akzidentismus“, also der Idee, die geplante Gestaltung so gewachsen wie möglich erscheinen zu lassen.

Schichten und Geschichten

Dieses Detail ist nur eines von sehr, sehr vielen, deren Geschichten uns Fuß erzählt in den 30 Projekten aus den Jahren 1961 bis 2015, die sie für dieses Buch ausgewählt hat. Niemand möge dieses Buch mit den herkömmlichen Monographien verwechseln, wie sie von den Büros so oft als PR-Material in Auftrag gegeben werden. Kuß hat dieses Buch aus ihrer Dissertation über Czech entwickelt und man glaubt nach kurzem Lesen sofort, dass sie sich über fast zehn Jahre immer wieder damit beschäftigt hat, Czech immer wieder getroffen und zu seinen Projekten und Ideen befragt hat. Deshalb sind die Erzählungen und Analysen hier so übervoll mit Querverweisen, so tiefenscharf und pointiert, wie man es viel zu selten in den Auseinandersetzungen mit einem architektonischen Werk findet.

Schicht für Schicht legt sie in einem streckenweise brillant bebilderten Buch Referenzen und Bedeutungen frei, seien das die Geschichten hinter den ovalen Fenstern, runden Räumen, hinter speziellen Geländern, Tapeten, Stühlen, die Gedanken hinter den Kerzenleuchtern, den Bodenplatten oder den Spiegeln in den vielen Bars und Restaurants, die Czech als Wiener mit besonderer Hingabe gestaltet hat – und in denen sich natürlich mehr als einmal die Beschäftigung mit der österreichischen Moderne von Loos, Wagner, Frank und Hoffmann findet. 

Füllhorn der Wiener Kulturgeschichte

Gleich an Czechs erstem Bau, der Neueinrichtung des Ballhauses (mit Wolfgang Mistelbauer und Rainald Nohàl), zeigt Kuß, wie verspielt in diesen wenigen Räumen Anleihen von Josef Hoffman (Stühle und Tapeten), Konrad Wachsmann (Methodik), Alison und Peter Smithson (Umgang mit Vorhandenem), Adolf Loos, Karl Kraus und François Truffaut zusammenfinden – und dass das Restaurant dann trotzdem (oder deswegen?) „kein Renner“ (Czech) wurde.

Wer glaubt, diese atemberaubende Dichte an Referenzen könnte sich ja wohl kaum durch alle 30 Projekte des Buches ziehen,  der irrt. Mit intellektueller Entdeckerlust seziert Kuß in aller Ruhe jedes Projekt: Wie Czechs Haus S. mit Otto Wagners Länderbank zusammenhängt, wieso die temporäre Winterverglasung der Loggia der Wiener Staatsoper mit einer Grabungsüberdachung des Amontempels bei Luxor zu tun hat, und wie die Treppenführung im Haus M. mit der strengen Ordnung der vier zentralen Haus-Stützen bricht.

Kuß gelingt im gesamten Buch ein angenehm knapper und sachlicher Tonfall, der uns nichts verkauft, sondern uns an die Hand nimmt in diesem zunehmend schwindelerregenden Buch. Denn die Referenzen und Verweise dehnen sich nur immer noch weiter aus, als würde man einem architektonischen Urknall beiwohnen: hier noch eine Galaxie, da noch eine Galaxie. Wagner, Loos, Frank, Hoffmann, Schwanzer, Feuerstein, Hollein, Wachsmann, Stockhausen, Achleitner, Kubelka...

Ein Füllhorn der Wiener Kulturgeschichte wird in diesem Buch über uns ausgeschüttet – und glücklicherweise wird Czech darin nicht als Held, sondern als neugieriger Beobachter charakterisiert. Eine Heldenerzählung, das hätte wohl weder zu Czech noch zu seiner „stillen Architektur“ gepasst, die „nur spricht, wenn sie gefragt wird“. Eva Kuß bringt sie zum Reden und rückt Czech damit ebenso nebenbei wie endgültig und gut begründet in die Ahnenreihe der immer schon sehr eigensinnigen Wiener Moderne. Dieses Buch ist ein Fest.

Text: Florian Heilmeyer

Hermann Czech. Architekt in Wien
Eva Kuß
Mit einem Vorwort von Liane Lefaivre und einem Essay von Elisabeth Nemeth
456 Seiten
Park Books, 2018

ISBN 978-3-03860-001-5
68 Euro


Zum Thema:

In die Ahnengalerie der österreichischen Moderne reiht sich Czech auch durch seine präzisen Texte, aus denen Kuß umfassend zitiert. Deshalb sei begleitend zu diesem Buch auch Czechs Essay-Sammlung „Zur Abwechslung“ (Löcker Verlag, 1996) empfohlen. Und wer dann noch Czechs schönes Wienerisch genießen möchte, der kann sich die „A Palaver“-Sendung vom 3. April 2006 anhören! Nicht die beste Tonqualität, aber man versteht dennoch, warum die Denkmalpflege in den 1980er-Jahren „Tiramisus“ produziert hat und warum alles immer Umbau ist – denn auch auf der grünen Wiese gibt es keine Tabula Rasa.


 
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Eine Weltpremiere? Oder wie viele Architektenbücher haben wohl einen Fliesenspiegel auf dem Cover?

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Der junge Hermann Czech um 1962 vor der Josef-Hoffmann-Tapete im Restaurant Ballhaus.

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Während seines Studiums (1963–71) in Wien hatte Czech noch experimentiert, hier zum Beispiel mit dem Vorschlag einer leichten Überdachung des Grabens in Wien.

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Schon das erste realisierte Projekt zeigt eine virtuose Verknüpfung von zahllosen bau- und kulturhistorischen Referenzen – war dann aber trotzdem „kein Renner“ (Czech).

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