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23.05.2022
Filmtipp: Homo ludens
Heinrich Klotz über Architektur und Neue Medien
Heinrich Klotz waren Kamera und Tonbandgerät stete Begleiter. Ein Glück, denn so blieb die Gedankenwelt des Architektur- und Kunsthistorikers auch nach seinem frühen Tod 1999 lebhaft erfahrbar. Für den Dokumentarfilm „Eine neue Umwelt. Heinrich Klotz über Architektur und Neue Medien“ grub sich Regisseur Christian Haardt, HfG-Absolvent und Mitarbeiter am ZKM, durch die Archive von Sendeanstalten und Privatsammlern – allen voran natürlich durch Klotz’ eigenes Archiv, dessen Diktierbänder bereits die Grundlage der Arch+ Sonderausgabe Klotztapes bildeten.
Der Film überlagert Super-8-Aufnahmen, Diabilder, Gesprächsaufzeichnungen und Tonbanddiktate. In teils poetischer Montage (Max Clausen) zeichnet er Heinrich Klotz, wie er sich wohl selbst sah: als Theoretiker und zeitgleich Familienmensch. Auf der Baustelle der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Karlsruhe, in seinem umgebauten Marburger Fachwerkhaus, im Disneyland Paris oder vor den fast fertiggestellten Rekonstruktionen an der Ostseite des Frankfurter Römerbergs lauschen wir seinen Gedanken, die über Fragen des Formalen weit hinausweisen.
Die Verurteilung von Rekonstruktionsprojekten als Werkzeug der Geschichtsklitterung teilte Klotz nur bedingt. Als Teil der zwischen beiden Weltkriegen geborenen Generation war er zu sehr der Ursachenforschung verpflichtet und empfand genug Empathie gegenüber derlei Sehnsüchten, um die dieser fundamentalen Kritik innewohnende distanzierte Haltung einnehmen zu können. Von seinem eigentlich einjährigen USA-Aufenthalt in Jugendjahren kehrte er frühzeitig zurück nach Deutschland, angetrieben von einer optimistischen Faszination für den Wiederaufbau des Landes. Er plädierte für eine sinnliche Architektur anstelle von seelenlosen „Schuhkartons“: Er war hungrig nach einer neuen, zweiten Moderne, die etwas von Geschichte weiß. Nach einer menschenfreundlichen Lebenswelt, die die Verbrechen des Krieges nicht negiert und die aus ebendiesen Traumata resultierenden Wünsche und Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen, so vermeintlich kitschige Blüten sie auch treiben mögen, ernstnimmt.
Als Intellektueller verfocht Klotz die Postmoderne – nicht zuletzt mit der Eröffnungsausstellung „Revision der Moderne“ des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt, dessen Gründungsdirektor er war. Mit der Konzeption der HfG und des Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe brach er Lanze für eine Kunst, die sich virtuelle und digitale Aktionsräume erobert. Stets ging es ihm um die Menschen, die in ihrer jeweiligen umgebenden Realität spielerisch andocken, teilhaben und interagieren möchten. Und so verwundert es wenig, dass wir gegen Ende des Films einen Satz von ihm vernehmen, der bis heute nichts an Aktualität verloren hat: „Wir brauchen offenbar ein wenig mehr zum Leben als nur das, was absolut notwendig ist.“
Text: Kathrin Schömer
Eine neue Umwelt. Heinrich Klotz über Architektur und Neue Medien
Christian Haardt
Deutschland, 2019
deutsch mit englischen Untertiteln
78 Minuten
Studiolo Film
Am Dienstag, 24. Mai 2022 um 18 Uhr feiert der Dokumentarfilm, der bereits auf mehreren Festivals gelaufen ist, seine Onlinepremiere. Der Streaminglink wird per Zoom geteilt. An das Screening schließt im Rahmen der „CCSA Talks“ des Center for Critical Studies in Architecture auf Zoom ein Gespräch zwischen Regisseur Christian Haardt und Oliver Elser (DAM Frankfurt) an. Die Anmeldung erfolgt per Onlineformular.
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Zum Thema:
Info zur Onlinepremiere des Films: criticalarchitecture.org
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Heinrich Klotz mit Paolo Portoghesi, vermutlich auf einer Wannseefahrt beim IDZ-Symposion 1975
Filmstill: „Langes Elend“, Otto Bartning, Berlin-Siemensstadt
Filmstill, zugleich Motiv aus der Dia-Sammlung von Heinrich Klotz: Märkisches Viertel, Berlin
Filmplakat: Eine neue Umwelt
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