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22.02.2017
Scheibenwohnhaus mit Aussicht
Haus von Marc Koehler in Almere
Natur ist in weiten Teilen der Niederlanden hochgradig künstlich und das Werk einer jahrhundertealten Ingenieurstradition, die dem Meer sukzessive Land abgewinnt und als Polder nutzbar macht. Dementsprechend lange gibt es dort nicht nur eine pragmatische Haltung gegenüber, sondern auch eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Umwelt. Die Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts mit ihren hohen Himmeln, den dramatischen Wolkenformationen und dem weiten Blick über das flache Land ist in diesem Sinne immer auch als eine Identifikation mit der produzierten Landschaft zu verstehen.
Dass Marc Koehler Architects aus Amsterdam beim Entwurf eines Einfamilienhauses in Almere auf genau diesen Traditionsstrang der niederländischen Malerei zurück griffen, mag auf den ersten Blick erstaunen. Ihr Haus mit dem sprechenden Titel House with 11 Views ist ein ungewöhnlich schmaler, vier Geschosse hoher Riegel, der auf geradezu plakative Weise das Thema Vorder- und Rückseite durchspielt. House with 11 Views liegt am äußersten Rand Almeres, in der typisch niederländischen Suburbia, auf einer kleinen, künstlichen Insel mit 15 Häusern. Die Lage ist herausragend, denn das Haus steht mit dem Rücken zu den besiedelten Arealen und orientiert sich mit seiner Hauptfassade zum Wasser und zur flachen Weite der unverbauten Polderlandschaft. Zur Straße zeigt sich das Haus weitgehend geschlossen und in Weiß, zur Landschaft jedoch tiefschwarz und stark durchfenstert. Die Formensprache ist klar, beinahe ein wenig unterkühlt.
Die Polarität der beiden Seiten hat natürlich entscheidend mit dem Grundriss zu tun. An der geschlossenen Seite liegt ein schmaler Streifen mit Treppen, Einbauschränken und dienenden Räumen, die eigentlichen Wohnräume öffnen sich demgegenüber mit großzügigen Fenstern zur Natur hin. Hier schlägt nun der Rückgriff auf die Malerei des Goldenen Zeitalters und deren Inszenierung der künstlich geschaffenen Landschaft durch: Die Fensterformate folgen elf berühmten Landschaftsbildern und thematisieren – über das Dispositiv des Rahmens – den Blick in die Landschaft. Damit nicht nur sensibilisierte Kunsthistoriker begreifen, um was es hier geht, ließen die Architekten die transluzenten Rollos vor den Fenstern mit Ausschnitten der historischen Gemälde bedrucken, auf die sie sich beziehen. Kein Wunder also auch, dass der Fotograf Filip Dujardin das Haus als eine Art Blickmaschine inszenierte.
Für den Bauherren waren jedoch noch ganz andere Dinge wichtig. Erstens war eine industrielle, loftartige Atmosphäre gewünscht, zweitens ein Maximum an Fläche bei möglichst niedrigen Kosten. Die Antwort auf diese Wünsche fanden die Architekten in einer leichten Stahlkonstruktion, wie man sie aus dem Industriebau kennt. Sandwichelementen aus geriffeltem Stahlblech und Polyurethanschaumfüllung reduzierten die Kosten. Zusätzliche Dämmung im Inneren führte zu vergleichsweise dicken Wänden und entsprechenden Fensterlaibungen. Die Halbwertszeit des Hauses dürfte bei dieser Konstruktionsart jedoch weitaus niedriger ausfallen, als die der Malerei, auf die es sich bezieht. (gh)
Foto: Filip Dujardin
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