Kunst ist eine Behauptung, Architektur beruht auf Erfahrung – sagt Hans Kollhoff, und einer wie er hat viel davon. Am Sonntag wird der Berliner Architekt 70 Jahre alt. Ein Gespräch über Versäumnisse im Städtebau, die Haltung zeitgenössischer Architekten und das beste Gebäude der Moderne.
Von Jeanette Kunsmann
Sie sagen, dass in Berlin gerade alles nach einer IBA schreit*. Wie wünschen Sie sich diese IBA?
Hans Kollhoff: Ich wünsche mir – und das geht jetzt ein wenig gegen die Hoffnung, man könnte mit Erfindungen etwas erreichen – ich wünsche mir, dass man aus Erfahrungen etwas lernt. Das kann man nämlich. Zum Beispiel von der Entwicklung, die Berlin gemacht hat – angefangen in den Sechzigerjahren, als man merkte, dass die Großsiedlungen keine Lösung für das Wohnungsbauproblem sind. Das Märkische Viertel zum Beispiel, als es gerade fertig gestellt war: Das waren nur Wohnungen – und zwar ohne richtige Straßen. Es gab mittendrin einen einzigen Kiosk, der war alles in einem – und wenn es geregnet hat, sind die Leute durch den Sumpf gegangen. Da kriegen Sie eine Vorstellung, an welchem katastrophalen Punkt der Städtebau und die Architektur zu dieser Zeit angekommen waren. Man versuchte, aus dem sozialen Wohnungsbau heraus städtebauliche Strukturen zu schaffen. Das ist hier und da gelungen, nur es hatte eben auch seine Grenzen. In Kreuzberg ging es in den Sechzigerjahren ja um den Wiederaufbau und darum, irgendwie ein städtisches Leben zu schaffen. Ohne Läden im Erdgeschoss geht das nicht. Wenn ich nur eine Bewohnerkategorie habe, die sozial gefördert werden muss, dann kann ich dort auch kein städtisches Leben hinzaubern. Daraus könnte man etwas lernen! Auch aus der Fortsetzung dieser Diskussion nach der Wende kann man lernen. Da wurde vieles richtig gemacht.
Warum hat man daraus nicht gelernt?
Wie in einem Blackout hat man das alles vergessen. Und denkt nun plötzlich, man müsste alles neu erfinden – was verantwortungslos gegenüber der jungen Generation von Architekten ist. Ich habe 25 Jahre als Professor gearbeitet, ich weiß wovon ich rede. Es ist verantwortungslos, den jungen Menschen zu suggerieren, das könnt ihr alles durch eure Erfindungen in den Griff bekommen. An der Hochschule lernt man noch nicht mal das Handwerk, das kann ja gar keiner mehr lehren! Manche Professoren haben noch gar kein Haus gebaut, wie wollen sie denn die Faszination des Hausbaus vermitteln? Denn die ist doch großartig! Wenn man da mal infiziert wurde, kommt man nicht mehr davon weg. Aber: Man verabschiedet sich von der Vorstellung, es ginge um Visionen und Ideen. Es geht um das, was Le Corbusier die „geduldige Suche“ genannt hat. Geduldige Suche: Der ist erst mal jahrelang durch Europa gereist. Die Zeit hat man heute nicht mehr.
Wenn Sie heute etwas am Potsdamer Platz ändern könnten, was wäre das?
Weniger Shopping-Center und mehr Stadt.
Also mehr Kultur?
Das Prinzip Shopping-Center ist: Es gibt ein Mauseloch, durch das alle reingehen und dann sollen sie möglichst drin bleiben. Das ist natürlich für die Straßen drumherum nicht gut. Mit diesem Manko behaftet, ist der Potsdamer Platz im Grunde eine Erfolgsgeschichte.
Sie haben vor zwanzig Jahren schon einen Hochhaus-Masterplan für den Alexanderplatz entworfen. Zum Thema Hochhäuser in Berlin: Braucht Berlin mehr Hochhäuser, vor allem: Wohnhochhäuser? Und mit einem Blick nach Frankfurt: Wieviele Hochhäuser kann eine Stadt wie Berlin überhaupt vertragen?
Berlin sollte möglichst nicht nach Frankfurt gucken. Dort ist nämlich mitten im Zentrum, wo all die Hochhäuser stehen, abends und nachts tote Hose. Da möchte keiner spazieren gehen. Frankfurt ist ein Beispiel, wie eine Stadt aussieht, wenn alles nur nach Bodenrichtwerten geht – und nach dem, was Investoren heute alles einfällt, um Profit zu machen: Das ist Frankfurt.
Und was ist Berlin?
Wenn man auf eine Stadt schauen will, die gut funktioniert, wo fast jeder seinen Ort findet, an dem er sich wohlfühlen kann, dann ist Berlin ein gutes Beispiel. Deswegen kommen so viele hier her! In England gibt es das nicht: Dort gibt es die Provinz, wo alles ziemlich trostlos aussieht, und es gibt London, das kann sich keiner leisten.
Sie haben auch davon gesprochen, dass Sie sich abgesehen von all den Zahlen einen Anforderungskatalog für den Stadtbau aus architektonischer Sicht auch für die Politik wünschen. Was wären denn Ihrer Meinung nach die wichtigsten Punkte?
Erstmal habe ich präzise getrennt zwischen Stadtbau – das ist weitgehend eine technokratische Angelegenheit, das hat Hobrecht in Berlin schon gut gemacht – es geht fast nicht besser, und das war europaweit seiner Zeit weit voraus. Das war ein Modell gegen London oder Paris, wo man die Fäkalien noch in die Flüsse geleitet hat. Das funktioniert!
Es ist ja kein Geheimnis: Es gibt Straßen, die Infrastruktur, die Parzellierung, individuelle Häuser. Da sind dann auch Architekten zum Zuge gekommen. Wenn Hausweise der Block mit möglichst unterschiedlichen Architekten aufgebaut wird, entsteht eine Kleinteiligkeit und es ist für jeden geschmacklich etwas dabei und es muss nur noch solide gebaut sein. Wenn Sie heute auf die Bauakademie schauen, was da für Wettbewerbe gemacht wurden, wo jetzt diese neuen Wohnungsbauten stehen, das ist an Trostlosigkeit nicht zu übertreffen – und das an einem Ort, der in Berlin erste Sahne ist! Was haben diese Architekten eigentlich in den vergangenen 20, 40 Jahren über städtische Wohnhäuser mitbekommen? Es ist die Banalität schlechthin.
In keiner Stadt gibt es so eine hohe Architektendichte wie in Berlin, trotzdem haben Architekten hier politisch so gut wie nichts zu sagen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Es ist zu viel Opportunismus im Spiel. Als Architekt muss man auch mal in der Lage sein, zu sagen: „Mit mir geht das nicht! Ich gebe mich dafür nicht her.“ Das passiert aber nicht in einer Zeit, in der so viel gebaut wird. Wenn es nur auf die Knete ankommt, entstehen Wohnungen, für die man eigentlich keinen Architekten braucht... Und dann haben die Architekten keine Wahl. Sie verdienen dabei vielleicht ganz gut, aber was können sie am Schluss herzeigen? Da ist die Bilanz extrem ernüchternd. Wenn man das zum Beispiel mit Amsterdam oder Rotterdam vergleicht – extrem ernüchternd!
Welche zeitgenössische Architektur ist denn für Sie gelungen, vielleicht sogar: zukunftsweisend?
In Berlin?
Egal in welcher Stadt, weltweit.
(überlegt) Und zeitgenössisch heißt: die letzten zehn Jahre? (überlegt weiter) Sie sehen, das ist nicht einfach. (überlegt wieder). Das ist verdammt schwer – warum ist das so schwer? Mir fallen viele Gebäude bis in die Fünfzigerjahre ein und dann reißt es ab. (schüttelt den Kopf) Eigentlich reißt es schon nach dem ersten Weltkrieg ab. Eines der unglaublichsten modernen Gebäude des 20. Jahrhunderts ist die Grundtvigskirche von Jensen-Klint in Kopenhagen. Den Architekten kennt kein Schwein, die Kirche kennt auch keiner – sie ist expressionistisch, aber von einer Helligkeit, von einem Strahlen, und ein Raum, wie es die Moderne sonst nicht mehr geschafft hat. Ich glaube, das ist möglicherweise der Raum, der keinen Vergleich in dieser Zeit scheuen muss. So, und jetzt muss ich los.
* Schrei nach IBA: Hans Kollhoff und das Berliner Wohnungsmarktforum – ein Bericht von Dina Dorothea Falbe
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Vitruv | 28.09.2016 22:21 UhrHans Kollhoff
Gutes Interview, kann man viel lernen!
Es sollten mehr Architekten auch mal NEIN sagen.
Herzlichen Glückwunsch, Hans Kollhoff!!!